Antisemitismus – Sachsens lautes Schweigen

Seit Dienstag steht das Leipziger Hotel Westin in der Öffentlichkeit. Der Fall der mutmaßlich antisemitischen Anfeindung eines Mitarbeiters gegen Gil Ofarim veranlasste zahlreiche Persönlichkeiten zu einer öffentlichen Solidarisierung oder einer Stellungnahme.

Solidarität auf Bundesebene
“Außenminister Heiko Maas (SPD) hat sich fassungslos über die mutmaßliche antisemitische Beleidigung des Musikers Gil Ofarim in Leipzig gezeigt. Nötig sei ein „Schulterschluss der Gesellschaft“ gegen Antisemitismus, forderte Maas bei der Verleihung des Shimon-Peres-Preises in Berlin laut Redetext. „Leipzig ist kein Einzelfall“, sagte Maas. Alle müssten sich daher „immer und überall“ Antisemitismus entgegenstellen.” lautete es in der Zeit

“Das ist ein unfassbarer Fall von Antisemitismus und in der Tat ein Verstoß gegen das AGG.” hieß es auf dem Twitter Kanal der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. „Juden waren in Deutschland schon mal in Hotels unerwünscht. Das war 1933. Wir fordern eine lückenlose Aufklärung und personelle Konsequenzen.“ sagte Lea Rosh, die Vorsitzende des Förderkreises Denkmal in einer Mitteilung.

Verhaltene Reaktionen aus Sachsen
“Was @GilOfarim aus Leipzig berichtet, bestürzt mich zutiefst. #Antisemitismus darf keinen Platz haben. Nicht offen, nicht verdeckt. Nicht in #Sachsen, nicht in Deutschland, nirgendwo. Wir haben eine ganz klare Verpflichtung: #niewieder! Mein Wort: mein ganzer Einsatz dafür!” lautete es auf Twitter von Wolfram Günther (Bündnis 90/Die Grünen), dem ersten Stellvertreter des Ministerpräsidenten Kretschmer (CDU) Sachsen.

Beim Zweiten Stellvertreter des Ministerpräsidenten, Martin Dulig (SPD), lautete die erste Reaktion wie folgt: “Es ist inakzeptabel und macht mich wütend, was #GilOfarim in meinem Heimatland widerfahren ist. Ich spreche für die übergroße Mehrheit der Menschen in #sachsen, wenn ich mich stellvertretend für die antisemitische Demütigung entschuldige. Wir haben noch viel zu tun in Sachsen!”

Sachsens Justizministerin Katja Meier (Bündnis 90/Die Grünen) meldete sich ebenfalls zu Wort: “Dieser offene #Antisemitismus im Hotel #Westin in #Leipzig ist unsäglich und unerträglich. Das muss Konsequenzen haben – und eine Entschuldigung reicht da nicht aus.  #Antisemitismus darf nicht Alltag bleiben.”

Ruhiger hingegen wurde es im Sächsischen Kabinett rings um die CDU – welche in der Bundestagswahl gegen AfD und SPD verlor

Innenminister Wöller bediente sich mit “Sachsen ist ein weltoffenes Land” einer Vokabel seines Vorgängers Markus Ulbig. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Betroffenen um einen Deutschen handelt, welcher dem jüdischen Glauben anhängt, stellt sich die Frage was mit “weltoffen” gemeint ist. 

Sachsens Staatsoberhaupt Kretschmer befand sich am Montag in der Region Latio/Rom und meldete sich erst Mittwoch aus Dresden wieder zu Wort. Es ging um die Gründungsveranstaltung der “Sächsische Semperoper Stiftung”, neben der „Stiftung Semperoper – Förderstiftung“ die zweite Stiftung rund um die Semperoper – und um das “30. Jubiläum der Panzergrenadierbrigade 37”:


Antisemitismus war kein Thema. In einem am Mittwoch geführten Interview mit der Freien Presse, welches heute veröffentlicht wurde, beantwortete Kretschmer Fragen zur niedrigen Impfquote in Sachsen und zu seiner Intervention der Ablösung von Marco Wanderwitz als Chef der Sächsischen Landesgruppe im Bundestag ausweichend.

Dynamische Entwicklung in Leipzig 
Inzwischen ging das Hotel in die Offensive. Zur Kundgebung, am Dienstag Abend, posierten die Mitarbeitenden mit einem Banner. Dass die Wahl der Motive unglücklich ausgefallen ist wurde, nach öffentlicher Kritik, in der LVZ kommuniziert.

Auch die Darstellung des mutmaßlich Betroffenen Gil Ofarim wurde mittels einer Anzeige, des inzwischen beurlaubten Mitarbeiters, in Zweifel gezogen. Gil Ofarim bekundete zwischenzeitlich Anzeige erstatten zu wollen. Das Westin tat inzwischen mit dem Künstler Günther Rothe einen Zeugen auf, der sich an die Äußerung mit dem Davidstern nicht erinnern könne. Auf der Webseite des Künstlers scheint er in Lobby des Hotels abgebildet, was auf eine längere Beziehung zum Haus schließen lässt. „Wir sind nicht glücklich darüber, dass jetzt durch das Hotel selbst Zeugen gesucht werden. Aus strafrechtlicher Sicht können diese dann von den Ermittlungsbehörden nicht mehr unvoreingenommen befragt werden“, konstatierte  Polizeisprecher Olaf Hoppe gegenüber der LVZ

Ebenfalls in diesem Beitrag kommt Burcu Akdoğan-Werner vom Sächsischen Antidiskriminierungbüro zu Wort: „Antisemitismus und Rassismus, ob auf der Arbeit oder im Dienstleistungsbereich, gehören leider zum Alltag von vielen Menschen in Leipzig. Uns sind auch im Zusammenhang mit dem Hotel Westin in der Vergangenheit bereits Diskriminierungen angezeigt worden“.

Für Verwunderung sorgte das Posting der Sicherheitsfirma ProGSL auf Facebook. Mitarbeiter und Geschäftsführung werden der rechten Szene zugeordnet. Auf nachdrückliche Presseanfragen von Belltower.News zum Einsatz der Firma schwieg das Hotel Westin, bekundete dann jedoch gegenüber dem MDR „am Donnerstag, dass der Sicherheitsdienst vor der angekündigten Demonstration kurzfristig engagiert worden sei. Wichtig sei, dass alles friedlich geblieben sei. Mit der Firma sei vorher noch nicht zusammengearbeitet worden. Sollten sich die Berichte als wahr herausstellen, „war es auch das letzte Mal“, sagte Hachmeister. Das sei selbstverständlich. “ 

Keine Reaktion aus dem Leipziger Rathaus
Vor dem Hintergrund der Entwicklungen interessierte uns was Oberbürgermeister Burkhard Jung zur Thematik sagte. Auf Twitter datiert sein letzter Beitrag vom 3.7..  Auf Facebook ist der letzte Beitrag ein Wahlaufruf vom 26.09.2021

Während Ministerpräsident Kretschmer intensiv Social Media nutzt, den Vorfall aber nicht für kommentierenswert hält, nutzt der Leipziger Oberbürgermeister Jung seine Social Media Auftritte primär rund um Wahlkampfauftritte. Einen Treffer ergab die Suche nach dem Oberbürgermeister  auf Facebook dennoch:

Er führt zur Beschreibung in einem Fotobeitrag der “GRK-Charity-Masters”. Genauer einer Fotoserie. Die “GRK-Charity-Masters” wurden 2008 Immobilienunternehmer Steffen Göpel ins Leben gerufen. “Der Unternehmer gehört zu den schillernden Persönlichkeiten Leipzigs und gilt als enger Freund von Oberbürgermeister Burkhard Jung” lautet es in einem Beitrag des kreuzer Leipzig. 

“Unsere Shuttle-Flotte steht bereit, unser Partner-Hotel ist bereit, WIR sind bereit – let the Charity begin! An dieser Stelle einen herzlichen Dank an unsere Premium-Partner Mercedes Benz und The Westin Leipzig!” lautet es in einem der Fotobeiträge von der “GRK-Charity-Masters”.

Ein einem anderen Fotobeitrag mit dem Initator der “GRK-Charity-Masters” lautet es: “Auf dem Foto abgebildet sind “Alexander Tomescheit (Mercedes Benz/Foto links), Antje Reichstein (The Westin Leipzig) und Initiator Steffen Göpel (r.)”. Nicht auf dem Bild abgebildet, jedoch ebenfalls in der Beschreibung erwähnt – Burkhard Jung.

Sachsen droht 2021 ein Jahresrekord in der Anzahl antisemitischer Straftaten und Leipzig nimmt dabei eine Spitzenrolle ein. Vor dem Hintergrund freundschaftlicher Kontakte rund um den engeren Kreis der “GRK-Charity-Masters” richteten wir gestern folgende Anfrage an die Pressestelle des Oberbürgermeisters:

Sehr geehrte Damen und Herren, 
sehr geehrter Herr XXXXXX, 

vor dem Hintergrund des mutmaßlich antisemitischen Vorfalls im Hotel Westin richte ich folgende Fragen an Sie. 

1. Warum hat Oberbürgermeister Jung bislang noch keine Stellungnahme zu den Vorwürfen bezogen? 

2. Hat Oberbürgermeister Jung Kontakt zum mutmaßlich Betroffenen oder dessen Management aufgenommen? Wenn ja, wann? 

3. Wann hatte Oberbürgermeister Jung zuletzt Kontakt zu dem Westin-Manager Andreas Hachmeister und der stellvertretenden Geschäftsführerin Antje Reichstein

4. Wie bewertet Oberbürgermeister Jung, dass zur Absicherung des Hotels nach den Vorkommnissen eine Sicherheitsunternehmen eingesetzt wurde, dessen Geschäftsführer und Mitarbeiter am „Überfall auf Connewitz“ beteiligt gewesen sind?
https://twitter.com/datt_thomas/status/1445858677542375424 

Die Antwort kam umgehend und lautete lediglich knapp:

zurzeit kennen wir eine Behauptung eines Künstlers, dem gegenüber steht eine Behauptung seitens des Hotels. Zeugenaussagen, die die eine oder die andere Sichtweise stützen, liegen nicht vor. In einer solchen Situation äußert sich die Stadt nicht zu den Vorfällen.“

Ob abseits von gegenseitigen Schuldzuweisungen zumindest eine klare Haltung erwartet werden kann? 

 

/TP MG MS

Bildquelle: @MPKretschmer