Demonstration gegen Ausbau des Flughafens Halle/Leipzig LEJ

„Die gesehene Repression gegen die Aktion von #CancelLEJ, betrifft nicht nur die Aktivist:innen vor Ort, sondern die gesamte Klimagerechtigkeitsbewegung und gefährdet auch die Demokratie.

Wir solidarisieren uns mit allen beteiligten Aktivist:innen und rufen zur Demonstration am 16.7.21 in Leipzig unter dem Thema „Rückbau statt Ausbau: CancelLEJ“ auf.“ lautete es in einem Demonstrationsaufruf der Gruppe Copwatch. Knapp 600 Teilnehmer*innen folgten ihm.

Hintergrund waren die polizeilichen Maßnahmen nach der Blockade des DHL-Drehkreuzes letzten Freitag auf Samstag Nacht. Aufgrund der Weigerung der Demontrationsteilnehmer*innen ihre Identitäten preis zu geben, wurden diese ca. 36 Stunden in Polizeigewahrsam gehalten, bis es zur Vorführung an Ermittlungsrichter*innen kam. Aufgrund der drohenden Untersuchungshaft gaben die Teilnehmer*innen schließlich ihre Personalien an. Am Einsatz wurde Kritik laut – auch am Ausbau des Flughafens selbst.

Falsche Informationen durch die Polizei
In einer ersten Medieninformationen der Polizei Sachsen am 10.07.21 erklärte diese, dass durch die Aktion ein Schaden in Millionenhöhe bei dem Logistikdienstleister DHL entstanden sei. Zudem soll durch die Aktion zur Verzögerung von Impfstofflieferungen gekommen sein. Dies wurde zwischenzeitlich durch eine Recherche des Spiegel Magazins widerlegt.

Sexualisierte Gewalt im Polizeigewahrsam
Laut Zeugenaussagen soll es in den 36 Stunden Polizeigewahrsam zu Beleidigungen, DNA-Zwangsentnahmen, mangelhafte Toiletten- und Nahrungsversorgung und sexuellen Übergriffen durch Polizeibeamt*innen gekommen sein. In einem sehr emotionalen Redebeitrag schilderte eine Betroffene ihre Erlebnisse.

Politische Wellen – Ministerpräsident gerät unter Druck
Am Folgetag der Blockade twitterte Martin Dulig „Der Zweck heiligt nicht alle Mittel! Die Demo nachts am #DHL-Frachtdrehkreuz am @LEJ_Airport ist inakzeptabel. Durch den Rückstau wurde gefährlich in den Straßenverkehr eingegriffen und der freie Handel am internat. Airport blockiert. Protest gehört zur Demokratie, aber nicht so!“. Dulig ist SPD-Vorsitzender Sachsen, Ostbeauftragter der SPD, stellvetretender Ministerpräsident des Freistaates sowie Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr.

Sonntag meldete sich Ministerpräsident Kretschmer (CDU) in der LVZ zu Wort. „Die Grundlage unseres Zusammenlebens ist, dass Gewalt weder gegen Personen noch Sachen ausgeübt wird. Hier sind Grenzen überschritten worden. Dafür hat der Rechtsstaat vernünftige Instrumente und Schritte, die jetzt auch angewandt werden“

Vor dem Hintergrund, dass selbst die Polizei von einer friedlichen Versammlungslage berichtete, richtete sich gegen Kretschmers Aussage Widerstand. Peter Richter von der Bürgerinitiative IG Nachtflugverbot ließ über den MDR verlauten: „Wir werden mit einem offenen Brief an die Staatsminister sowie an der Ministerpräsidenten darauf dringen, dass das an gleicher Stelle zurückgenommen wird und diese Geschichte aus der Welt geräumt wird. Dass es sich hier um keine gewaltsame Aktion gehandelt hat.“ Aus Kreisen von Rechts*anwältinnen wurde verlautbart, dass eine Unterlassungserklärung wegen der “ bewusst wahrheitswidrig [unterstellten] Gewaltanwendung“ geprüft wird.

Ein Redner fasste dies auf der Kundgebung mit den Worten „Ihr habt es geschafft, dass ein Ministerpräsident sich mit doppelter Bockflinte ins Knie geschossen hat“ zusammen. 


Petitionsübergabe
Neben Redebeiträgen von CancelLEJ (Redebeitrag), Protest LEJ und Copwatch kamen auch Anwohner*innen des Flughafens zu Wort. Das „Aktionsbündnis gegen den Flughafenausbau“ hatte am 23. Juni eine Petition mit knapp 11.000 Unterschriften an den amtierenden Landtagspräsidenten, Matthias Rösler (CDU) überreicht.

Auf der Demonstration hielt Matthias Zimmerman, Pressesprecher der Bürgerinitative „Gegen die neue Flugroute“ eine Rede, die wir hier im Volltext wiedergeben:

„Die Geschichte des Ausbaus des Flughafens Leipzig/Halle ist die Geschichte von Lügen, Halbwahrheiten und nicht eingehaltenen Versprechungen von Politik und Verwaltung gegenüber den Bürgern.

Vielen Dank für die Einladung.

Ich werde in letzter Zeit immer wieder gefragt: Herr Zimmermann, die „Bürgerinitiative gegen die neue Flugroute“ kommt nach unseren Erfahrungen eher aus der eher konservativen bürgerlichen Mitte. Seit geraumer Zeit finden wir Sie aber verstärkt – vorsichtig ausgedrückt –  unkonventionell unterwegs, sowohl in den Aussagen, als auch in den Aktionen der Bürgerinitiative. Wie passt das zusammen?

Ja antworte ich dann, die Tatsache kann ich bestätigen und es hat sich auch an unserer Grundeinstellung nichts geändert. Aber es hat einen Erkenntnisprozess gegeben. Und das hat seinen Grund:

Die Geschichte des Ausbaus des Flughafens Leipzig/Halle ist die Geschichte von Lügen, Halbwahrheiten und nicht eingehaltenen Versprechungen von Politik und Verwaltung gegenüber den Bürgern. Nur drei Beispiele aus einer von mehr als zwei DIN A4- Seiten umfassenden Chronik möchte ich hier anführen.

Als 1996 die Start- und Landebahn Nord und der neue Terminal gebaut werden sollte, lies der damalige Ministerpräsident von Sachsen, Georg Milbradt, verkünden, dass niemand die Absicht habe, den Flughafen zu erweitern. Die in DDR-Geschichte bewanderten werden ggf. Parallelen erkennen. Das Ergebnis ist bekannt.

Als dann im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens 2003/2004 die Start- und Landebahn Süd neu gebaut werden sollte, versprach man den Bürgern, „Leipzig wird umflogen“. „Keiner soll nachts aufwachen“. Tatsächlich sind mit Inbetriebnahme der SLB Süd und des DHL-Frachtflugdrehkreuzes auch weite Teile Leipzigs von den nächtlichen DHL-Anflügen betroffen. Lt. Bürgerumfrage 2019 empfinden die Bürger in ca. 1/3 des Leipziger Stadtgebietes Fluglärmbelastung. 

Der damalige Planfeststellungsbeschluss legte eigentlich auch eine gleichmäßige Bahnverteilung fest. Trotzdem gestand die Landesregierung zeitgleich in einer nicht veröffentlichten Patronatserklärung von 2005 dem Unternehmen DHL zu, dass sowohl DHL selbst, als auch alle im Namen von DHL tätigen Luftfahrtunternehmen die stadtnahe südliche Start- und Landebahn bis 40 Flugbewegungen pro Stunde !!! nutzen können. Heute werden über 90% der nächtlichen Start über die stadtnahe Südbahn abgewickelt.

Im Jahr 2017 stellte der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages einstimmig und mit dem höchsten Votum fest, das Begehren der Bürger ist rechtens, die kurze Südabkurvung muss abgeschafft werden. Der Deutsche Bundestag, bestätigte dies zudem mit einem einstimmigen und parteiübergreifenden Bundestagsbeschluss. Dieser Bundestagsbeschluss ist bis heute nicht umgesetzt, da sich der zuständige Verkehrsminister schlichtweg weigert. Selbst die Leipziger Bundestagsabgeordneten, die sich um der Sache willen querbeet der Parteienlandschaft mehrfach aktiv für die Umsetzung des Bundestagsbeschlusses eingesetzt haben, sagen mir, sie sind mit ihrem Latein am Ende. Welch düsterer Ausblick in bundesdeutsche Demokratie.

Was den Koalitionsvertrag der Landesregierung betrifft, so lies das hoffen. In ihm wurde festgeschrieben, „Im Interesse der Menschen im Ballungsraum Leipzig … werden wir uns für eine weitere Reduzierung der Fluglärmbelastung einsetzten.“ Also mal ungeachtet der Tatsache, dass das Adjektiv „weitere“ vollkommen desinformierend ist, da es auch in der Vergangenheit gar keine Reduzierung des Fluglärms gab, seit 2019 sind die Fluglärmbelastung und der CO2-Ausstoß ständig weiter angestiegen und keiner der im Regierungsprogramm zum Thema Fluglärm bzw. Flughafen angesteuerten Punkte sind bis heute umgesetzt.   

Und nun schließt sich der Kreis zum Ausgangspunkt meiner Ausführungen. Wie bekannt hat unsere Bürgerinitiative Mitte letzten Jahres die Petition „Kein weiterer Ausbau des Frachtflughafens Leipzig/Halle“ gestartet und diese mit über 10.000 Unterschriften kürzlich eingereicht. Zudem haben gegen das derzeit laufende Planfeststellungsverfahren zum Ausbau des Flughafens bisher weit mehr als 5.000 Einzelpersonen Widersprüche eingereicht. Die Stellungnahmen der meisten Kommunen zum Vorhaben waren niederschmetternd. Das Verfahren läuft zwar noch und die Stellungnahmen müssen erst ausgewertet werden – aber trotzdem lese ich in der Zeitung, dass das Flughafenmanagement erklärt, „Der Ausbau wird genehmigt“. Wohlgemerkt, bei dem Flughafen Leipzig/Halle handelt es sich defacto um ein Landesunternehmen. Da frage ich mich doch, wer ist hier „diktatursozialisiert“ und wer ist Lobbygetrieben?

Kommen wir zur Blockade des Flughafens sowie den diesbezüglichen Schnellschüssen aus Wirtschaft und Politik hinsichtlich der Schadensersatzforderungen.

Da darf man doch wohl zurückfragen

–       Wer bezahlt den Anrainern die gesundheitlichen Schäden und Kosten des nachweislich krank machenden Fluglärms?

–       Wer kommt für den Klimaschaden auf?

–       Wer zieht die Wahlbetrüger zur Rechenschaft?

–       Wer ersetzt den schleichenden Verlust qualitativ hochwertigen Arbeitskräftepotentials, welches durch die beabsichtigte neue chinesische Seidenstraße, wie sie am Flughafen Leipzig/Halle als wesentlicher Punkt installiert werden soll, unweigerlich eintreten wird – ja bereits eingetreten ist?

–       Und warum soll der Steuerzahler das alles auch noch bezahlen? Bekanntlich ist der Flughafen defizitär.

An dieser Stelle sei übrigens angemerkt, dass selbst die KlimaUnion, eine Gruppe von CDU-Politikern, fordert, „sämtliche Flugverkehrssubventionen Stück für Stück zu streichen.“ Das sollte dann wohl auch für den Leipziger Flughafen gelten. Oder?

Demokratie ist keine Einbahnstraße mit gewollten Ergebnissen für die Wirtschaft und von ihr ggf. gesteuerter Politik. 

Wenn sachliche und fachliche Argumentation nicht gehört wird bzw. nicht zählt, dann soll es halt so sein – unorthodoxe, kreative Demos und Protestaktionen.

Last uns also fragen:

Wenn das Umweltbundesamt ein generelles Nachtflugverbot für stadtnahe Flughäfen fordert, warum soll dann ein Flughafen wie Leipzig-Halle ausgebaut werden, der eine uneingeschränkte Nachtflugerlaubnis besitzt?

Lasst uns fragen:

Wenn die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, dass der Nachtfluglärm auf weniger als 40 dB reduziert werden soll, warum wird dann ein Flughafen ausgebaut, bei dem selbst außerhalb des sogenannten Nachtschutzgebietes Lärmspitzen bis 70 dB und mehr gemessen werden?

Und lasst uns fragen:

Von wem fühlen sich Frau Merkel und Herr Kretschmer eigentlich legitimiert, sich über das Grundrecht auf Gesundheit hinwegzusetzen?“

UPDATE 21.07.2021: Die IG Nachtflugverbot hat sich heute mit einem Offenen Brief an die Sächsische Staatsregierung gewandt.

/MS