Zwischen Juni und Oktober 2021 flohen insgesamt 5.155 Menschen nach Sachsen*. Im Vergleichszeitraum 2020 erreichten 2.115 Fliehende das Bundesland. Ihre Zahl hat sich damit nicht einmal verdreifacht. Dennoch haben diese Zahlen den sächsischen Ministerpräsidenten veranlasst, zunächst eine Mauer an der östlichen Außengrenze der Europäischen Union zu fordern. Es folgte die Äußerung, die Bilder, die die hiesige Öffentlichkeit erreichen, müssten ausgehalten werden. Opposition und Zivilgesellschaft kritisierten den Ministerpräsidenten unter anderem als geschichtsvergessen und forderten einen humanitären Korridor von Belarus über Polen nach Deutschland. Doch ungeachtet der politischen Debatte – wie kommen die Menschen in Sachsen eigentlich gerade unter, die neu einreisen?
Mehr und mehr Problem- und Zeltlager
Zunächst erhalten sie ein Bett in den Aufnahmeeinrichtungen des Freistaats. Pikant dabei ist, dass in Sachsen mit Jahresende drei Aufnahmeeinrichtungen, von Kritiker:innen auch als Lager bezeichnet, existieren werden, die aus Leichtbauhallen bestehen. Das sind die Bremer Straße in Dresden, die Leipziger Einrichtung Mockau III und auch Mockau II, was laut Innenministerium bis Ende Dezember gegenüber des gleichnamigen Lagers eröffnet werden soll. Der Begriff Leichtbauhalle ist dabei der vom Ministerium verwendete Begriff. Tatsächlich drängt sich bei deren Anblick eher die Wortwahl „Zelte“ auf und die Frage, wie die Menschen hier vor Kälte geschützt werden sollen.
Beim Sächsischen Flüchtlingsrat e.V. und dem Rosa Linde e.V, landeten so auch in der vergangenen Woche Vorwürfe, dass in Mockau III zwischenzeitlich die Heizungen ausgefallen seien. Die Heizungen funktionieren inzwischen wieder. Unangenehm bleibt die Unterbringung dort dennoch, nicht zuletzt auf Grund der nach oben hin offenen Kabinen, die für Lärm in den Hallen sorgen.
Mockau II und III, die Bremer Straße plus die vielfach kritisierten, peripher gelegenen Einrichtungen in Schneeberg und Dölzig sowie die Unterkunft für besondere Schutzbedarfe mitten in einem Waldgebiet – das sind sechs von insgesamt bald 13 Einrichtungen des Freistaats, in denen es immer wieder zu massiver Unzufriedenheit unter Bewohner:innen kommt beziehungsweise künftig zu erwarten sein wird. Was nicht überraschend ist, dürfte doch in allen Sammelunterkünften der Wunsch nach Privatsphäre, Ruhe und sicherem Ankommen bestehen. Die Lage in Schneeberg und Dölzig, die Bauweise von Mockau II und III wie der Bremer Straße kommen dann zum regulären Stress eines Lagers hinzu. So sieht es auch Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat, der meint: „Sinnvoller wäre es, die Menschen in Bundesländern zu verteilen, die Kapazitäten besitzen oder dezentral innerhalb Sachsens unterzubringen.“
Alternativoptionen und – kapazitäten sind vorhanden
Tatsächlich sind einige der in 2021 neu eingereisten Geflüchteten inzwischen in andere Bundesländer verlegt. Im September waren das 200, im Oktober 172. Dass der Prozess der Verteilung Geflüchteter auf die Länder komplexer ist, als es zunächst vermuten lässt, führt die Landesdirektion aus: „Eine Weiterleitung in andere Bundesländer setzt zunächst die Registrierung und Einbuchung in das sogenannte EASY-System des Bundes voraus, das die Länderzuständigkeit abruft. Sofern das EASY-System sodann die Zuständigkeit eines anderen Bundeslandes ermittelt, werden die betroffenen Personen nach Vorliegen der Ergebnisse der Gesundheitsuntersuchung dorthin weitergeleitet.“
Fraglich ist darüber hinaus aber tatsächlich, warum eine Unterbringung in Sammelunterkünften heute überhaupt noch nötig ist. Die Situation mit 2015 gleichzusetzen, wie es die Rhetorik einiger politischer Entscheidungsträger:innen vermuten lässt, ist nicht zulässig. Damals wurden nach Angaben des Innenministeriums 69.900 Menschen in Sachsen aufgenommen. Die Zahlen heute bewegen sich weit darunter. Und: ein Blick in die sächsischen Kommunen unterstreicht die Forderung des Flüchtlingsrats. Denn da ist Platz. Am 30. Juni 2021 standen 4.204 Plätze in angemieten Wohnungen der 13 Landkreise und kreisfreien Städte frei. Insgesamt 2.653 Plätze gab es, laut Antwort auf eine Kleine Anfrage, in den kommunalen Gemeinschaftsunterkünften, die sich in Bausubstanz und Standard teils stark unterscheiden. Diese Wohnungen oder Gemeinschaftsunterkünfte folgen für die meisten Geflüchteten auf den Aufenthalt in den Aufnahmeeinrichtungen – sofern sie nicht daraus abgeschoben wurden. „Transfer“ nennen Geflüchtete die Zuweisungsentscheidung, mit der die Zuständigkeit für ihre Unterbringung vom Freistaat auf eine der Kommunen übergeht.
Zügig mit den Kommunen über die bisherigen, dezentralen Kapazitäten ins Gespräch zu kommen, gegebenenfalls weitere zu erschließen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Transfers aus den Aufnahmeeinrichtungen so schnell wie möglich erfolgen, um die Lager nicht zu überfüllen, war möglich und ist auch heute noch eine politische Option. Allein, es mangelt am politischen Willen. Aushalten sollen das diejenigen, die hinter sächsischen Lagerzäunen leben.
*Diese Angaben ergeben sich aus Antworten des Innenministeriums und der Landesdirektion sowie des neuen deutschland und einer Presseanfrage von la-presse.org.
/MG