Hamza Howidy und Shay Dashevsky diskutierten im Werk 2 über den Nahostkonflikt, deutsche Echokammern und die Verantwortung der Linken.
Ausgerechnet in Connewitz, wo der Diskurs um Israel und Palästina oft in festgefahrenen Schablonen verharrt, suchte das linXXnet am Mittwochabend den 12. November 2025 nach Grautönen. Im Werk 2 trafen die Friedensaktivisten Hamza Howidy, Palästinenser aus Gaza, und Shay Dashevsky aus Israel, aufeinander. Die Erwartungshaltung war greifbar: Wie sieht ein Dialog aus, der nicht in Parolen erstickt, sondern die Schmerzpunkte beider Seiten offenlegt und zu gemeinsamen Lösungen führt?
Dialog statt Dogma
Unter der Moderation der Publizistin Laura Loew bot der Abend eine seltene Plattform für Nuancen in einer Debatte, die in Leipzig oft polarisiert. Howidy, der aus Gaza fliehen musste und sich heute explizit gegen die Hamas sowie gegen Antisemitismus positioniert, und Dashevsky, der sich in Israel zunehmend isoliert sah, demonstrierten eine pragmatische Allianz. Dashevsky betonte, die Begegnung mit Howidy sei für ihn essenziell gewesen – gerade nachdem er sich nach dem 7. Oktober in seinem bisherigen linken Umfeld oft allein gelassen fühlte. Dass Meinungsverschiedenheiten das gemeinsame Ziel – ein Ende der Gewalt – nicht sabotieren müssen, war der rote Faden des Abends. Es war eine indirekte Kritik an einer deutschen Diskurskultur, der die Kompetenz, Widersprüche auszuhalten, in den letzten zwei Jahren fast vollständig abhandengekommen ist.
Das Szenario danach: Patt und Perspektivlosigkeit
Analytisch wurde es bei der Betrachtung der strategischen Lage. Howidy skizzierte ein »stalemate«, eine blutige Pattsituation. Er identifizierte zwei Hauptblockaden für eine befriedende Lösung: die Weigerung der Hamas, die Waffen niederzulegen, und die Weigerung der israelischen Regierung, eine politische Strategie für die Verwaltung des Gazastreifens nach dem Krieg vorzulegen. Diese Planlosigkeit, so Howidy, schrecke internationale Geldgeber ab – niemand, auch nicht die Golfstaaten, wollen in ein Gebiet ohne verlässliche Strukturen investieren. Dashevsky warnte eindringlich vor einem Déjà-vu des Jahres 2005: Ein Machtvakuum könnte erneut den Nährboden für Gewaltstrukturen bilden, während die Weltöffentlichkeit passiv zuschaut. Seine Enttäuschung über den Westen war spürbar: Während radikale Stimmen und Hassbewegungen gegen Juden in Europa Zulauf erhielten, würden moderate Friedensstimmen im Lärm der Empörung untergehen.
Die deutsche Obsession: Projektion statt Politik
Der vielleicht stärkste Moment des Abends war die Demontage der deutschen Debattenkultur. Hamza Howidy hielt dem Publikum den Spiegel vor: Der Diskurs hierzulande drehe sich selten um das reale Leid in Gaza oder Israel, sondern fast ausschließlich um deutsche Befindlichkeiten, Geschichte und Staatsräson. Scharf kritisierte er die Haltung der Bundesregierung, die an ihrer Linie festhalte, während andere europäische Partner längst stärker auf diplomatische Lösungen drängten. Zwar zeigte sich Howidy überrascht von der Unterstützung der jungen Generation für einen palästinensischen Staat, warnte aber vor deren ideologischem Unterbau. Oft basiere diese Solidarität nicht auf Humanismus, sondern auf einem simplen Anti-Israelismus. Sein Satz »Ich möchte diese Unterstützung, egal wer einen Palästinenser tötet« saß. Er entlarvt eine selektive Solidarität, die palästinensisches Leid nur dann skandalisiert, wenn Israel der Verursacher ist. Shay Dashevsky bestätigte diesen Eindruck: Der Konflikt verkomme zur Projektionsfläche. In digitalen Echokammern bastelten sich Deutsche ihre eigene Realität, losgelöst vom Kontext vor Ort.
Forderung an die Linke: Ressourcen nutzen, nicht verschwenden
Was bleibt als Lösungsansatz? Howidy erteilte dem »bewaffneten Widerstand« eine klare Absage – historisch habe dieser den Palästinensern nur Landverlust und Leid gebracht. Nur Diplomatie könne den Teufelskreis durchbrechen. Explizit richteten sich beide an die deutsche Linke: Sie solle ihre Ressourcen und ihren Einfluss nicht für destruktive Forderungen verschwenden. Stattdessen brauche es Druck für reale, erreichbare Ziele, die der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten helfen. Dashevsky plädierte für eine De-Radikalisierung der Sprache und eine klare Zweistaatenlösung. Die Veranstaltung endete mit Lesetipps für das Verlassen der eigenen Komfortzone – Rashid Al-Khalidi für die palästinensische, Benny Morris für die israelische Perspektive – und einem Auftrag an das Leipziger Publikum: Die Nuancen nicht wieder an der Garderobe abzugeben. /MS
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