Holodomor Gedenken in Leipzig

Der 26. November ist in der Ukraine ein Gedenktag für die Opfer des Holodomor. In Leipzig gedachten am Freitag gut 200 Teilnehmer:innen – meist aus der Ukraine darunter auch Deutsche. Wir sprachen mit Nathanael, einem der Organisatoren.

Wer bist Du und was macht ihr heute hier?

Ich heiße Nathanael Wolff. Wir, eine Gruppe von Ukrainer:innen und Deutschen, organisieren seit Januar Kundgebungen und Demonstrationen zur Unterstützung der Ukraine in Leipzig. Außerdem sammeln wir Spenden, um ukrainischen Zivilisten humanitär zu helfen, aber auch militärisches Gerät für die ukrainischen Streitkräfte.

Wir sind heute hier, weil wir einerseits dem Holodomor, dem sowjetischen Hungergenozid an den Ukrainer:innen Anfang der 1930er Jahre gedenken wollen, der nächsten Mittwoch von der Bundesregierung als Völkermord anerkannt werden soll. Andererseits wollen wir aufzeigen, dass der gegenwärtige Angriffs- und Vernichtungskrieg, den der russische Faschismus gegen die ukrainische Nation führt, auf die Zerstörung dieser Nation abzielt und selbst genozidale Züge trägt. Das bedeutet, dass es eine Tradition des russischen Imperialismus in dem Versuch gibt, die ukrainische Nation zu zerstören und damit die Kultur und Geschichte des ukrainischen Volkes auszulöschen.

Wir wollen daher heute nicht nur den Opfern des Holodomor, sondern auch denen des genozidalen Krieges, den Russland gegenwärtig gegen die Ukraine führt, gedenken. Darüber hinaus wollen wir dazu aufrufen, dass die Ukraine weiterhin und noch stärker als bisher unterstützt wird. Dazu gehört auch die Lieferung moderner, westlicher Waffen. Wir sind der Auffassung, dass der russische Vernichtungskrieg und der Völkermord, den der russische Faschismus an der ukrainischen Nation begeht, nur dadurch beendet werden können.

Neben verschiedenen Videoclips ging es in den Redebeiträgen auch um die finanzielle Förderung des Leipziger Filmfestivals GlobaLE durch die Stadt Leipzig.

Unserer Ansicht nach bedienen Teile der radikalen Linken, aber auch der faschistischen Rechten die Agenda des russischen Faschismus und wirken damit praktisch als dessen 5. Kolonne hierzulande . In ihrer außenpolitischen Kollaboration mit dem Putinismus bilden sie faktisch, ob gewollt oder nicht, eine Querfront. Das hat man etwa zum Auftakt des „Heißen Herbstes“ am 5. September in Leipzig gesehen, als auf der linken „Montagsdemonstration“ vor der Oper auf dem Augustusplatz berechtigte Sozialproteste gegen die verfehlte Sozial- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung gegen eine konsequente Unterstützung der Ukraine ausgespielt wurden. Die Forderung der Redner:innen und Teilnehmer:innen dieser Demo unterschieden sich hinsichtlich der Ukraine nicht wesentlich von denen der Teilnehmer:innen der von den rechtsradikalen „Freien Sachsen“ angemeldeten Demonstration auf der anderen Seite des Augustusplatzes. Beide liefen auf eine Untergrabung der Unterstützung der Ukraine hinaus.  Allerdings gibt es auch Mitglieder aus der sogenannten bürgerlichen Mitte, die diese Agenda bedienen. 

Leider sind wir auch hier in Leipzig mit russischer Propaganda und Apologet:innen des russischen Faschismus konfrontiert. So wurde im Rahmen der GlobaLE ein putinistischer Propagandafilm aufgeführt, der von Oliver Stone, einem persönlichen Freund von Putin, produziert wurde. Der Film „Ukraine On Fire“ propagiert das Verschwörungsnarrativ des Kremls, dass die „Revolution der Würde“ im Jahr 2014 ein von den USA angezettelter Putsch ukrainischer Faschist:innen gewesen sei. In Wirklichkeit handelte es sich dabei jedoch um eine basisdemokratische Volksrevolution gegen den pro-russischen Oligarchen Viktor Yanukovych.

Mit diesem Verschwörungsmythos wurde der Kampf der Ukraine um ihre nationale Unabhängigkeit mit dem Faschismus gleichgesetzt. Gleichzeitig wurde Russlands Angriff am 24. Februar 2022 von Putin damit gerechtfertigt, dass der Krieg zur Bekämpfung von Nazis in der Ukraine diene und antifaschistisch sei, weil er in der Tradition des „Großen Vaterländischen Krieges“ gegen Nazideutschland stehe. Wir halten diesen Film für eine geschichtsrevisionistische Pervertierung, der den Vernichtungskrieg gegen die Ukraine vorab gerechtfertigt hat. Es geht uns heute auch darum, dazu aufzurufen, der russischen Propaganda weiterhin und noch verstärkt überall entschlossen entgegenzutreten. Leider wurde die GlobaLE neben zahlreichen anderen, teilweise renommierten Organisationen auch von der Stadt Leipzig gefördert, nämlich mit 12.000 Euro. Die Stadt distanzierte sich zwar vorab von der Filmvorführung, berief sich aber zugleich auf die Meinungsfreiheit. Auch die Veranstalter des Festivals selbst verstecken sich hinter Meinungsfreiheit, um die Propaganda des russischen Faschismus verbreiten zu können. Sie werfen jedem, der dieser Verbreitung entgegentritt, Zensur vor. Damit verkehren sie Täter und Opfer. Meinungsfreiheit hat Grenzen, etwa was die Befürwortung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges betrifft, und bedeutet nicht Widerspruchsfreiheit. Russische Propaganda ist keine bloße kontroverse „Meinung“, über die man „kritisch diskutieren“ könnte, sondern dient zur Rechtfertigung des Völkermordes, den Russland an der ukrainischen Nation begeht. Außerdem verfolgt sie das Ziel, die Demokratie in Deutschland zu untergraben. Russische Propagandisten berufen sich also auf die Meinungsfreiheit, um diese auszuhöhlen und letztlich abzuschaffen. Das zeigt sich daran, dass Kritiker dieser Propaganda immer wieder mundtot gemacht werden oder als bloßes Feigenblatt für deren Verbreitung herhalten sollen. Will Demokratie wehrhaft sein, dann muss sie diese Propaganda konsequent bekämpfen. Deshalb fordern wir, dass die Stadt Leipzig die Förderung der GlobaLE künftig einstellt.

Wir wissen von Ukrainer:innen, dass sie, auch vor dem Hintergrund der Verbreitung dieser Propaganda, in Leipzig rassistischer Diskriminierung und Bedrohung ausgesetzt sind. Daher fordern wir von den Leipziger Bürgerinnen und Bürgern, dass sie für die Ukrainer:innen einstehen – damit sich die Überlebenden des russischen Genozides, wenigstens hierzulande, sicher fühlen können. 

Gut, soweit Lokal. Was haltet ihr vom aktuellen Kurs der Bundesregierung?

Die Bundesregierung spielt teilweise immer noch ein falsches, doppeltes Spiel. Nur unter sehr großem außen- und innenpolitischem Druck konnte sie sich dazu hinreißen, die Ukraine tatsächlich zu unterstützen – sowohl humanitär als auch mit Waffenlieferungen. Nach wie vor, etwa durch Tricksereien wie dem Ringtausch, meidet sie schwere Waffen wie den Kampfpanzer Leopard 2 in die Ukraine zu schicken. 

Wir sind der Ansicht, dass durch solche Lieferungen der Krieg nicht verlängert wird, sondern umgekehrt verkürzt wird. 

Wir sind ebenfalls der Auffassung, dass solche Lieferungen keineswegs Kriegstreiberei sind. Im Gegenteil. Menschen, die mit einem faschistischen Diktator verhandeln wollen, der in der Vergangenheit bewiesen hat, dass er sich an keine Vereinbarung hält, sind die wahren Kriegstreiber. Es geht bei dem russischen Krieg gegen die Ukraine letztlich auch um einen Konflikt demokratischer Länder westlichen Typs mit dem russischen Faschismus. Der Krieg betrifft daher eben nicht nur die Ukraine, sondern Europa und uns hier in Deutschland.

Man muß nicht alles, was in unseren westlichen Ländern geschieht, gut finden. Das Mindestmaß an Freiheit und Sicherheit, das wir hier genießen, sollte man aber zu schätzen wissen. Dieses Mindestmaß verdanken wir gegenwärtig den ukrainischen Streitkräften und Freiwiligen, die in der Ukraine kämpfen und damit ein Bollwerk gegen den russischen Faschismus bilden. Dieser hat einen imperialen, expansiven Charakter und bedroht damit auch uns in Deutschland, auch hier in Leipzig. / MS

Bilder: Anna Perepechai/Ukraine_Leipzig