Als Zapatistas bzw. Zapatisten werden sozialrevolutionäre indigene politische Gruppierungen in Mexiko, vor allem im Bundesstaat Chiapas, bezeichnet. Auf der Reise einer Delegation durch Europa machten sie, unter anderem, in Leipzig Halt. Im Nachgang erhielten wir die Möglichkeit mit den Leipziger Organisator*innen* zu sprechen.
Zapatistas sind vielen Menschen ein Begriff. Eher schwammig «Irgendwas mit links», «Schon total lange am Start» und «Kaffee» ist häufig zu hören. Kurz, was hat es mit den “Zapatistas” auf sich?
Die Zapatistas, bzw. die EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional), wurden zuerst im Januar 1994 durch ihren bewaffneten Aufstand in Chiapas, Südmexiko, weltweit bekannt. Als Reaktion auf das Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA besetzten sie mehrere Bezirkshauptstädte und erklärten der Regierung Mexikos den Krieg. Diesem Aufstand war nicht nur ein über 10jähriger klandestiner Organisationsprozess vorausgegangen, sondern auch eine umfassende Befragung und Abstimmung in den indigenen Gemeinden von Chiapas. Inhaltlich richtete sich der Aufstand gegen die andauernde Ausbeutung der Bevölkerung durch die Großgrundbesitzer, gegen Neoliberalismus, Rassismus, Militarisierung, Umweltzerstörung, Korruption und nicht zuletzt gegen die Unterdrückung der Frauen und aller benachteiligten Geschlechter. Auf eine zwölf Tage dauernde bewaffnete Auseinandersetzung mit dem Militär folgten Friedensgespräche und eine Vereinbarung mit der mexikanischen Regierung über indigene Rechte und Kultur, die aber von staatlicher Seite nie umgesetzt wurde. Daraufhin begannen die Zapatistas auf ihrem Gebiet – zu großen Teilen besetztes Land, das sich vor dem Aufstand in den Händen von Großgrundbesitzern befunden hatte – mit dem Aufbau rebellischer autonomer Strukturen in allen Lebensbereichen: Bildung, Gesundheit, Selbstverwaltung, Geschlechtergerechtigkeit, Produktion, Medien, Rechtsprechung … Und trotz aller Schwierigkeiten, einem Jahrzehnte dauernden „Krieg niedriger Intensität“ durch die mexikanische Regierung, militärischer Belagerung und paramilitärischer Bedrohung haben sie bei sich vor Ort beeindruckende antikapitalistische Alternativen geschaffen, die weltweit viele Menschen inspirieren.
Was meint ihr, warum hat es diese Reise der Delegation gegeben?
Die Zapatistas haben erklärt, dass sie mit dieser Reise die Resignation durchbrechen, Hoffnung säen und den Status quo des kapitalistischen Systems erschüttern wollen. Sie wollen organisierte Menschen in anderen Ländern treffen, ihre Kämpfe kennenlernen, Erfahrungen teilen und sich austauschen. In einer ihrer Ankündigungen heißt es: »Wir sind Zapatist*innen, Träger*innen des Virus des Widerstandes und der Rebellion. Als solche werden wir die fünf Kontinente bereisen.«
Diese Reise hat gerade erst begonnen – und schon im Vorfeld viel bewegt. Leipzig war eine der ersten Stationen. Hier hatten wir uns zuvor über Monate getroffen, vorbereitet, vernetzt – über Gruppen und Menschen hinweg, die sonst nicht unbedingt miteinander in Kontakt sind. Und Ähnliches geschah an vielen Orten im ganzen Land und auf dem ganzen Kontinent.
Mit welchen Gruppen hat sich die Delegation in Leipzig getroffen und warum?
Es gab viele kleine Begegnungen, Treffen und Besuche bei Initiativen und Kollektiven, die Alternativen zum kapitalistischen System entwickeln und leben, sei es im Bereich des Wohnens und Arbeitens, der Bildung oder der Landwirtschaft. Die zapatistischen Compañeras haben sich mit FLINTA-Gruppen getroffen und am Klimastreik teilgenommen. Es gab ein Treffen der Zapatistas mit lateinamerikanischen Migrant*innen, einer anarchistischen Gruppe und mit Initiativen gegen Repression und Gentrifizierung. Und einen Austausch über Kolonialität mit postcolonial und BIPOC-Gruppen aus Leipzig.
Das ist das erklärte Ziel der Reise: Die Zapatistas sind hergekommen, um zuzuhören und selbst etwas von ihren Erfahrungen und ihrer Geschichte zu erzählen. Und das nicht in großen, medienwirksamen Events, sondern im direkten Gespräch und Austausch. Das ist auch ein Grund, warum es von ihrer Seite keinen Kontakt zur Presse gab. Auf eine Interviewanfrage antworteten sie: Wenn wir Interviews führen wollten, hätten wir nicht herkommen müssen.
Meint ihr, dass die Erwartungen der Delegation erfüllt wurden?
Ich glaube, das ist für uns schwer zu beantworten, zumal die Reise noch so ziemlich am Anfang steht. Die Delegation ist ja noch bis Mitte Dezember in Europa unterwegs! Was uns angeht, können wir jedoch sagen, dass der Besuch ausgesprochen inspirierend war und wie bereits erwähnt zu Kontakten und Zusammenarbeiten von ganz unterschiedlichen Gruppen geführt hat.
Meint ihr, dass die Erwartungen der besuchten Gruppen erfüllt wurden?
Das hängt sicher auch sehr von den Erwartungen der Gruppen ab. Die Lebensrealitäten hier sind sehr verschieden von denen in Chiapas, im Lakandonischen Urwald. Das von uns organisierte Programm war zeitlich sehr intensiv. Dabei haben die Delegierten und die besuchten Gruppen ihre jeweiligen Kämpfe vorgestellt und danach kam es oftmals zu einem intensiverem Austausch. Dabei wurden immer wieder die Gemeinsamkeiten deutlich, die es trotz der unterschiedlichen Situationen gibt. Das Feedback, was an uns herangetragen wurde, war zum allergrößten Teil sehr positiv.
Wie habt ihr die Delegation wahrgenommen?
In Leipzig waren zwei Gruppen zu Besuch, 4 Compañeros und 6 Compañeras. Die Begegnung mit ihnen war für uns alle inspirierend. Es ist spürbar, wie gut sie organisiert sind – und wie entschlossen sie diesen Kampf führen. Gegen den Kapitalismus, für das Leben. Dabei fällt besonders auf, wie politische Ideen und indigene Lebensweisen und Prinzipien miteinander verschmolzen sind.
Sie waren sehr interessiert daran, mehr über das Leben hier zu erfahren, aber auch, ihre eigenen Erfahrungen zu teilen. Leider war die Zeit dafür oft viel zu kurz. Wir hatten anfangs noch mehr Treffen so etwa im Zweistundentakt geplant, haben aber schnell gemerkt, dass die Zeit nicht einmal ansatzweise ausreichte. Am fruchtbarsten waren wohl die Begegnungen, für die ein ganzer Tag Zeit war – beispielsweise der Besuch bei den Solawis (Solidarische Landwirtschaft) oder in Pödelwitz, das bis vor Kurzem noch vom Kohlebergbau bedroht war und nun praktisch der Mibrag gehört.
Es ist beeindruckend unter welchen schwierigen Umständen die Zapatistas es schaffen, eine Autonomie aufzubauen, die das alltägliche Leben verbessert. Wie kollektiv sie miteinander umgehen, sich unterstützen und das Unmögliche möglich machen. Beispielsweise die 7 Prinzipien für eine basisdemokratische Organisation ohne neue Hierarchien und Machtverhältnisse zu schaffen sind gelebte Erfahrung, von der wir sehr viel lernen konnten und können.
Was war ihnen wichtig – abseits der erklärten Ziele zur Reise?
Während der Reise haben die repressionserfahrenen Compas ein großes Sicherheitsbedürfnis – eine mögliche Erklärung für die wenigen öffentlichen Termine. Auf der Seite des Ya-Basta-Netzes finden sich gesammelt alle öffentlichen Informationen zur Reise. Ansonsten war ihnen ein offener Austausch auf Augenhöhe wichtig, bei dem es um das Teilen von Erfahrungen und Wissen geht.
Gab es Komplikationen auf der Reise?
Die mexikanische Regierung hat über Wochen und Monate hinweg versucht, diese Reise zu behindern. Dazu wurden vielen Delegierten der EZLN, aber auch des Nationalen Indigenen Rates CNI die Ausstellung von Pässen unter fadenscheinigen Vorwänden verweigert oder erschwert. Danach hatte Frankreich über Wochen hinweg die Einreise der Delegation verhindert und sich dabei auf die besondere Situation durch die Corona-Pandemie berufen. Bei der Einreise nach Europa gab es dann bürokratische Komplikationen in Madrid, wo die Delegation zwischenlanden musste. Ein Teil der Delegation hat dann den Anschlussflug nach Wien verpasst und konnte erst mit einem Tag Verspätung weiterreisen.
Und in Chiapas wurden zeitgleich zur Einreise der zapatistischen Delegation in Europa zwei Compañeros von Paramilitärs entführt. Glücklicherweise konnten sie nach einigen Tagen unversehrt aufgefunden und befreit werden. In einer anderen Region wurde fast zeitgleich ein Compañero ermordet. Die Situation in Chiapas ist sehr angespannt. Paramilitärs agieren praktisch straffrei, die Regierung ist korrupt und Megaprojekte bedrohen die Menschen. In einem Kommuniqué der Zapatistas wird die Lage so beschrieben, dass der Bundesstaat am Rande eines Bürgerkrieges steht.
Was können Menschen, eurer Meinung nach, aus dem Besuch mitnehmen, die nicht in Kontakt mit der Delegation gekommen sind?
Möglicherweise haben sich manche Leute erhofft, dass es öffentliche Veranstaltungen gibt, und sind jetzt vielleicht enttäuscht, dass alles relativ unauffällig ablief und sie die Zapatistas nicht wirklich sehen oder treffen konnten. Das ist verständlich – aber so war die Reise nun mal angedacht und nicht als Vortragsreise zum Beispiel. Trotzdem sind alle eingeladen in das Netz der Rebellion, das in diesem Zusammenhang entstanden ist und weiter entsteht.
Viele Menschen kämpfen und engagieren sich in viele Richtungen, aber oft vereinzelt und wenig verbunden. Dieses Netz hat das Potenzial, diese Kämpfe miteinander zu vernetzen, die sich letztlich gegen den Kapitalismus in all seinen Ausprägungen richten. Es ist eine Einladung, das zu suchen, was uns verbindet. Und damit zu wachsen und der Zerstörung, von der unser Planet bedroht ist, gemeinsam etwas entgegenzusetzen – denn die Zeit drängt!
Wie kann man sich bei euch einbringen?
Unsere Vernetzung ist gerade dabei, den Besuch der Zapatistas und unsere eigene Situation zu reflektieren. Was haben wir in diesem gemeinsamen Prozess der Vorbereitung und Durchführung des Besuchs und der Reise gelernt, erlebt, erfahren? Was machen wir jetzt damit? Welche Ideen gibt es, wie geht es jetzt weiter? Klar ist aber vielen von uns schon jetzt: Wir bleiben dran und das Netz der Rebellion wächst.
Mittlerweile sind auch schon wieder einige überregionale Aktionen aus dem Netzwerk gelaufen, darunter die große antikapitalistische Demonstration am 16.10.21 in Frankfurt/Main.
Der nächste große Aktionstag findet am 30.10.21 dezentral und überregional statt. Dabei geht es um die Verhinderung eines wichtigen Megaprojektes in Mexiko, dem zynisch sogenannten „Tren Maya“. Diese Bahnstrecke, die unter Beteiligung der Deutschen Bahn, Siemens, TÜV u.a. im Bruch mit geltenden mexikanischen und völkerrechtlichen Gesetzen gebaut werden soll, würde zur massiven Zerstörung von Wald, Wasser und indigenen Gemeinden führen. Alle Menschen sind aufgerufen, sich über diese Megaprojekte zu informieren und dagegen aktiv zu werden.
Unser besonderer Dank geht an die spontan entstandene Crew der Sprachmittler*innen. Ihr Support war ein wichtiger Bestandteil des Besuchs. In Leipzig gibt es viele interessante internationalistische Gruppen, die keinerlei Anknüpfungspunkte an die hiesigen finden — eine wichtige Erfahrung, die wir durch den Besuch der Compas gemacht haben.
Wer Lust hat, mit uns Kontakt aufzunehmen, schreibt gern an leipzig[ät]ya-basta-netz.org
*Bei den Organisator*innen handelt es sich um ein Netzwerk von Menschen verschiedenster Gruppen und Hintergründe, die sich – gemeinsam mit Menschen aus dem Leipziger Umland sowie Halle und zeitweise auch Magdeburg – schon seit Anfang des Jahres auf dieses Ereignis vorbereitet haben. Die Leipziger Vernetzung versteht sich als Teil des Netzes der Rebellion, dem Zusammenschluss der Gruppen, Kollektive, Organisationen und Einzelpersonen, die in Deutschland die Reise der indigenen Rebell*innen aus Mexiko organisiert haben.
/KA/KS/MS und andere
Foto: Freundeskreis Videoclips