Seit gut zwei Monaten überzieht die selbsternannte „Bewegung Leipzig“ das Leipziger Stadtgebiet mit Kundgebungen und Demonstrationen. Das Orga-Team und die Teilnehmerinnen der Demonstrationen und Kundgebungen geben vor, sich für Freiheit und Grundrechte einzusetzen.Viele der Akteurinnen kommen aus dem esoterisch eingestellten Milieu der Impfskeptiker, aber auch Reichsbürger, Neonazis und Personen aus dem Spektrum der Friedensbewegung finden sich auf den Demos und im Orga-Team. Den Minimalkonsens für Aktionen in diesem heterogenen Personenkreis bildet die Affinität zu Verschwörungsmythen. Auf Basis der Annahme, dass geheime Mächte im Hintergrund die Welt regieren bzw. dabei sind die Welt nach ihren Vorstellungen umzugestalten, vertritt die „Bewegung Leipzig“ grob gesagt die These, dass die Infektionsschutzmaßnahmen nicht der Eindämmung der Infektionen mit Covid-19 dienen, sondern einzig und allein der Einschränkung der Grundrechte der Bevölkerung. Das Schlagwort „Corona-Diktatur“ macht die Runde.
Durch die medial geschürte Panik vor dem Virus, der nicht schlimmer als eine normale Grippe sein soll, sollen die Menschen gefügig gemacht werden und freiwillig auf Selbstbestimmung verzichten. Die „Bewegung Leipzig“, deren Akteur*innen teilweise auch aus dem linksalternativen Milieu stammen, nimmt für sich in Anspruch, diejenigen zu vertreten, die dieses Spiel durchschaut haben. Sie bezeichnen sich als „aufgewacht“ und grenzen sich von den „Schlafschafen“ ab, die alles kritiklos über sich ergehen lassen. Von Alex Fischer
Mit wirklicher Kritik an den Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionszahlen und den damit einhergehenden Einschränkungen haben die Inhalte der „Bewegung Leipzig“ nichts zu tun. Vor allem anfangs wurden auf mehreren Veranstaltungen, meistens bei Veranstaltungen mit offenem Mikrofon, kaum verklausulierte antisemitische Reden gehalten und „Denen da oben“ vorgeworfen, sie würden Werte zerstören, die vom Volk durch fleißige Arbeit geschaffen wurden. Seit der Lockerung der Maßnahmen wird vor allem Angst über die erwartete Impfpflicht verbreitet: Je nach Lesart der ergoogelten Fakten sollen die Menschen dadurch gechippt werden oder die Pharmalobby stärkeren Einfluss gewinnen und sich an der Not der Menschen bereichern.
Auffällig sind die Parallelen zu den Argumentationsmustern neurechter und rechtspopulistischer Politiker*innen und Aktivist*innen. Wie bei der Kernthese neurechter Argumentationen, der These vom „Großen Austausch“, stehen auch laut der „Bewegung Leipzig“ ominöse Mächte im Hintergrund, die das Weltgeschehen zum Nachteil des „fleißigen Volks“ beeinflussen. Auch bei der Informationsbeschaffung über die Machenschaften einer angeblich korrupten Elite spielen neurechte und rechtspopulistische Internetplattformen eine Rolle. Teils bezieht man sich auf die gleichen Akteur*innen wie PEGIDA im Jahr 2015, vereinzelt werden die Demonstrationen auch von AfD-Mitgliedern angemeldet und durchgeführt. Gleichzeitig springen Neurechte und Neonazis auf den Zug der Verschwörungsideolog*innen auf und teilen die kruden Interpretationen des Weltgeschehens. So teilte der Kreisverband der AfD Leipzig ein Video des Musikers Xavier Naidoo, der sich als Anhänger des QAnon-Verschwörungsmythos öffentlich positioniert.
Auch die generelle Ablehnung der Medienlandschaft und die Behauptung, es gäbe keine freie Presse, sondern nur gelenkte und beeinflussbare Journalist*innen, ist eine wohlbekannte Taktik rechtspopulistischer Akteur*innen um die gesamte Berichterstattung von „offizieller“ Seite zu diskreditieren. Bei aller Kritik, die man an der zum Teil von wenigen Verlagsgesellschaften dominierten Medienlandschaft äußern kann, dient die Verteufelung der „Mainstream-Medien“ auch dazu, Menschen nur ihrer eigenen Internet-Recherche und den Aussagen von rechten Vlogger*innen und Influencer*innen vertrauen zu lassen. Diese wiederum zeichnen sich durch wilde Spekulationen und die Verbreitung „gefühlter Fakten“ aus.
Auch wenn die Veranstaltungen von „Bewegung Leipzig“ und anderen Akteur*innen aus deren Dunstkreis, zunächst eher lächerlich wirken, sollte man die Wirkmächtigkeit verschwörungsideologischer Narrative und deren Anschlußfähigkeit an das rechtsradikale und vor allem antisemitische Lager nicht unterschätzen. Auch wenn teils verschiedene Begrifflichkeiten verwendet werden und die „Bewegung Leipzig“ sich auf dem Papier von Rassismus und Antisemitismus distanziert sind die Denkstrukturen und das Politikverständnis der Akteur*innen deckungsgleich mit dem der rechtsradikalen und rechtspopulistischen Szene aus der ohnehin einige der bei der „Bewegung Leipzig“ beteiligten Menschen stammt.
Weitere Informationen:
https://platznehmen.de/2020/05/29/kritisch-bleiben-solidaritaet-statt-rechte-hetze/
https://www.dnn.de/Dresden/Lokales/Hunderte-Menschen-bei-Corona-Demos-in-Leipzig-und-Dresden