Reisebericht: Leipzig in Kyjiw – Eindrücke aus einem Land im Krieg

Als Lokaljournalist aus Leipzig begleitete ich die Gruppe des linXXnet aus Connewitz auf ihrer fünftägigen Reise in die Ukraine. Die Begegnungen in Kyjiw offenbarten die unermüdliche Stärke der ukrainischen Zivilgesellschaft, aber auch die Schrecken des Krieges. Ein Gespräch mit einer Geheimdienstmitarbeiterin, die vor russischer Einflussnahme warnte, prägte die Reise ebenso wie ein schwerer Luftangriff in der Nacht zum dritten Tag.

Tag 1: Erste Begegnungen unter Luftalarm

Ein Luftalarm in der ersten Nacht erinnerte uns an den Krieg. Kyjiw wirkte im Frühling 2025 lebendig, doch die Abwesenheit vieler Männer, die an der Front kämpfen, war spürbar. Am Maidan zeugen Gedenkstätten von zehntausenden Gefallenen. Tim Bohse, ein NGO-Mitarbeiter, lobte die Selbstorganisation der ukrainischen Zivilgesellschaft und kritisierte die nachlassende Solidarität in Deutschland, besonders in Sachsen. Er forderte mehr Austauschprogramme, um Verbindungen zu stärken. 

Das Interview mit Tim Bohse auf kreuzer Leipzig.

Tag 2: Die Kraft der Zivilgesellschaft

Trotz weiterer Luftalarme setzte die Gruppe ihre Gespräche fort. Skhid SOS, eine NGO, hat seit 2022 88.000 Menschen aus umkämpften Gebieten evakuiert, darunter 12.000 mit Behinderungen. Der Wegfall von USAID gefährdet jedoch ihre Arbeit. Bei Sotsialnyi Rukh, einer linken Bewegung, diskutierten wir die Herausforderungen linker Politik, Zwangsrekrutierung und die EU-Beitrittsperspektive.

Tag 3: Schwerer Angriff und ernste Warnungen

Die Nacht zum dritten Tag war erschütternd: Ein schwerer russischer Luftangriff mit Drohnen, ballistischen Raketen und Marschflugkörpern traf Kyjiw  Die Gruppe verbrachte die Nacht im Flur, begleitet von heftigen Explosionsgeräuschen. Der Angriff forderte neun Todesopfer und verletzte über 63 Menschen, darunter sechs Kinder. Am Morgen trafen wir eine Geheimdienstmitarbeiterin, die betonte, Deutschland müsse seine Energieunabhängigkeit von Russland sichern, um Erpressbarkeit zu vermeiden. Sie warnte, dass russische Agent*innen in Deutschland kaum auf dem Radar der Sicherheitsbehörden seien. Später erläuterte Historiker Viacheslav Lichachev die ukrainische Erinnerungspolitik und die russische Geschichtsumdeutung, etwa durch die Betonung eines „Holocausts an den Sowjets“. Das geplante Sondertribunal gegen russische Kriegsverbrecher am zeige den ukrainischen Willen zur Gerechtigkeit.

Tag 4: Forumtheater und gesellschaftliche Vielfalt

Yana Salachova von Teatrzmin stellte das Forumtheater vor, das marginalisierten Gruppen eine Stimme gibt. Beim queeren Filmfestival „Sunny Bunny“ spürten wir den Freiheitswillen und die Lebensfreude junger Menschen, trotz Bedrohungen durch rechte Gruppen. Nelia von der Rosa-Luxemburg-Stiftung sprach über die zunehmende Militarisierung, aber auch über die Hoffnung durch junge linke Bewegungen wie die Studierendengewerkschaft „Direct Action“.

Tag 5: Gesundheit und soziale Kämpfe

In einer Schutzwohnung der Ukrainian Foundation for Public Health erfuhren wir von der prekären Versorgung, etwa bei HIV-Patient*innen, verschärft durch den Wegfall internationaler Gelder. Eine stärkere Leipzig-Kyjiw -Partnerschaft wurde angeregt. Ira Tantsiura vom feministischen Filmfestival Filma thematisierte den konservativen Rückschritt und die Notwendigkeit sozialer Reformen. Abschließend beeindruckte „Be Like We Are“, eine Bewegung von Krankenschwestern, die für bessere Arbeitsbedingungen kämpft und Erfolge wie Gehaltszulagen erzielte.

Fazit: Stärke im Chaos

Die Reise zeigte die beeindruckende Resilienz der ukrainischen Zivilgesellschaft, selbst nach Angriffen wie in der Nacht zum dritten Tag. Die Warnung der Geheimdienstmitarbeiterin mahnt Deutschland, russische Einflussnahme ernster zu nehmen. Für das linXXnet ist die Reise ein Aufruf, die Solidarität mit der Ukraine zu vertiefen – ein Anliegen, das auch Leipzig erreichen sollte. /MS

Auswertungstext des linXXnet: Reise in die Ukraine: Eindrücke aus einem Land im Krieg und die Rolle der ukrainischen Linken