„Im Grunde genommen haben wir gerade erst angefangen“ Ein Kommentar über die Soko LinX und ihrem Traumbild von einer neuen RAF
Am 15. März dieses Jahres stürmten am internationalen Tag gegen Polizeigewalt dutzende vollvermummte Beamte, die Pistole im Anschlag, mehrere Wohnungen in Leipzig und Jena auf der Suche nach den sogenannten „Brutalen 7“ (Bild, 07.05.2023). Die Angst der Gendarmerie muss riesig gewesen sein, so bedienten sie sich zur Öffnung der Türen Blendgranaten in Jena und Schrottflinten in Leipzig. Eine nicht-beschuldigte Bewohnerin wurde laut einem Bericht der Rote Hilfe e.V. nackt aus ihrem Bett gerissen und von männlichen SEK-Polizisten am Boden gefesselt.
Mit Haftbefehl gesucht wird laut Presse nach mehreren bisher nicht aufzufindenden jungen Menschen, die sich angeblich an Auseinandersetzungen mit Neonazis beteiligt haben sollen. Anlass dessen soll der sogenannte „Tag der Ehre“ gewesen sein, zu dem jedes Jahr tausende Rechtsextremisten in Budapest zusammenkommen, um ihren historischen Vorbildern der Wehrmacht und Waffen-SS zu huldigen. Die Behörden vermuten eine Zusammengehörigkeit mit der sogenannten „Hammerbande“, deren ersten vier Mitglieder am 31. Mai 2023 zu insgesamt 13 Jahren und elf Monaten Haft verurteilt wurden. Die Revision zu dem Urteil steht noch aus.
Seitdem schreiben sich Springer und Konsorten die Finger wund und erschaffen in den Köpfen der Nation die neue Generation linker Terroristen. Am 12.05.2023 veröffentlichte der Spiegel einen Artikel, in welchem eine „Behördenwarnung des BKA“ zitiert wird, welche „Parallelen zur RAF“ vermutet. Angeregt durch Dirk Münster, Chef der Soko LinX und Holger Münch, Präsident des BKA, startete das Boulevardblatt BILD kurz darauf die hauseigene Fahndung nach den längst vorverurteilten Tätern und druckte wiederholt ihre Gesichter mit zugehörigem Vor- und Nachnamen ab. Ausgestattet sind diese Steckbriefe mit scheinbar durch die Ermittlungsbehörden durchgestochenen Hintergrundinformationen zu den bereits ausgemachten Schwerverbrechern.
Das empört! Doch weniger die vorgeworfenen Taten in Budapest, vielmehr der rabiate Verfolgungswahn der Sicherheitsbehörden und die unausstehliche Hetze der Presse. Der nüchterne Betrachter erkennt in Angriffen auf Rechtsradikale keine staatsgefährdende Terrorakte, sondern Körperverletzungen gegen versuchte Imitatoren von Himmlers Totenkopf-Divisionen.
Es beschleicht einen immer mehr das Gefühl, dass nicht die Verfolgten „im Untergrund“ die angebliche Radikalisierung vorantreiben, sondern das BKA gemeinsam mit einer Innenministerin Faeser, die Linksextremismus trotz 31% weniger linker Straftaten 2021 zu 2022 besonders ins Fadenkreuz nehmen möchte. So lautet die neuste polizeiliche Verlautbarung, wiedergegeben durch den Spiegel am 18.08.2023, dass das sächsische Landeskriminalamt zur Fahndung nach den Untergetauchten 10 weitere Beamte abgestellt hat. Wenn der Staat und seine Repressalien immer härter und brutaler werden, so provoziert er dadurch auch immer stärkere Reaktionen im Wechselspiel. Eine erbärmliche Behörde, die Terrorismus behauptet, wünscht und bedarf, um sich selbst zu legitimieren.
Dieser Kommentar verfolgt nicht die Frage, ob körperliche Gewalt gegen Neonazis in einem demokratischen Rechtsstaat eine Berechtigung entwickeln kann. Doch sollte man sich nicht die Meinung des CDU-Wählers aneignen, der sich in seinem konservativ-situierten, nazifreien Vorort zu hause schimpft und meint, über Notwendigkeit von Antifaschismus urteilen zu können ohne je mit reeller Gewalt durch Neonazis und der gleichzeitigen Ignoranz des gewaltigen Problems durch die Polizei konfrontiert worden zu sein.
Der Feind der deutschen Demokratie war, ist und bleibt gewiss: er steht rechts. Ein fixer Exkurs in die politische Wirklichkeit der Gegenwart: Rechtsextremisten haben 2022 fast drei mal so viel Körperverletzungen wie Linksextremisten begangen (BMI 2023), es bestehen zahlreiche bewaffnete Neonazi-Netzwerke ausgerüstet durch Polizei und Bundeswehr, rechte Gewalttaten werden mit milden Urteilen bestraft und eine siegessichere AFD marschiert donnernd auf Mehrheiten in Landesparlamenten und Bundestag zu. Die passende Vollendung dessen: 600 untergetauchte Rechtsextremisten (Verfassungsschutz 2023), ohne eine Aufstockung der Fahndungskapazitäten – Versteht sich, in der blinden deutschen Republik.
In einigen Jahren werden wir prüfen können, ob sich die AntifaschistInnen der Gegenwart mit ihrer Praxis von Gewalt geirrt haben. Vielleicht müssen wir dann beim Blick in den Spiegel erkennen, wären wir nicht alle ein wenig mehr wie Lina E. und Co. gewesen, würden wir nicht von Faschisten à la AFD regiert werden. / SB / Bild MS
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Quellen:
Bericht Rote Hilfe e.V.:
https://rotehilfejena.noblogs.org/2023/03/16/erneute-repressionsangriffe-in-sachsen-und- thueringen-hausdurchsuchungen-gegen-antifaschistinnen/
Behördenwarnung BKA:
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/behoerdenwarnung-vor-neuem-linksterrorismus- hammer-auf-den-kopf-stiche-in-den-bauch-a-89200b53-6808-4dd3-8892-ef2b75b13918
10 neue beamte SokoLinX:
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/sachsen-erhoeht-fahndungsdruck-bei-suche-nach- untergetauchten-linksextremisten-a-0cba2eca-8942-4196-bf67-1e9f555ae3e2
Straftaten Links/Rechts KVs 2023:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/4721/umfrage/vergleich-der-anzahl-von-rechten- und-linken-gewalttaten/
600 untergetauchte Rechtsextreme: https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/linksextremismus/zahlen-und-fakten/zahlen-und- fakten_node.html