Das Vorgehen rund um den Tag X in Leipzig wird als autoritäres Gebaren aufgefasst. Der Leipziger Kessel, bei dem rund Eintausend Menschen kriminalisiert wurden, steht hierfür symbolisch. Doch wie konnte es soweit kommen? Aufschluss gibt die enge Kooperation der sächsischen Behörden. Ins Fadenkreuz derer geriet Rechtsanwalt Christian Friedrich – der ebenfalls eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen musste.
Es ist eine Geschichte, die damals nicht von großer Bedeutung scheint: Gerade wurde der Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen abgesetzt, da schlägt Bundesinnenminister Seehofer den bereits als CDU-Innenexperten profilierten Armin Schuster als Nachfolger vor. Doch Kanzlerin Angela Merkel lehnt den Vorschlag ab. Grund dafür sei nicht, dass Schuster ihre Flüchtlingspolitik kritisiert habe. So berichtet es zumindest der Spiegel, Merkel und Schuster hüllen sich in Schweigen. Schusters politischer Karriere tut das keinen Abbruch.
Weichenstellung
Unter Schuster kommt es scheinbar zu einer Art Neustrukturierung der Sicherheitsbehörden in Sachsen, der Einfluss des Staatsschutzdezernates, der Soko LinX, steigt. Dafür sprechen die erhöhten Überwachungsmaßnahmen sowie die zunehmenden Hausdurchsuchungen in Leipzig. Es scheint eine enge Kooperation mit anderen Behörden zu geben, die dem Innenministerium unterstellt sind und über das Justizministerium bis ins Leipziger Rathaus reichen.
Aufgrund der Urteilsverkündung in dem vom Soko LinX angestrebten Antifa Ost-Verfahren soll es am 3. Juni 2023 schließlich zu einer Solidaritätsdemonstration kommen. Doch daraus wird nichts: Aufgrund einer Gefahrenprognose, die auf Erkenntnissen des Verfassungsschutzes, des Landeskriminalamtes (LKA) und auch der Soko LinX basiert, werden alle Versammlungen rund um das Urteil gegen Lina E. untersagt. Die Stadt Leipzig greift mit dabei auf eine Praxis zurück, von der zuletzt während der Corona-Pandemie Gebrauch gemacht wurde. Das Vorgehen wird in weiten Teilen der Zivilgesellschaft als ein Schritt der Eskalation gewertet.
Dabei hatte es seit den Auseinandersetzungen zum Jahreswechsel 2020 am Connewitzer Kreuz sichtbar positive Veränderungen bei der Polizei Sachsen gegeben. Der Tatsache, dass Pressevertreterinnen selbst von der Polizei angegriffen wurden, ist einer effektiven Medienschutzkomponente gewichen. Von der Polizei provozierte Eskalationen auf links gelesenen Versammlungslagen, wich dem Konzept der Deeskalation. Symbolisch steht dafür der Jahreswechsel 2022 in Connewitz. Hier zeigte die Polizei erst zu später Stunde Präsenz, als es geboten war – wie selbst polizeikritische Stimmen hinter vorgehaltener Hand bestätigen.
Im Vorfeld vom TagX scheint davon nichts mehr übrig geblieben zu sein: Exemplarisch hierfür ist das Spiel zwischen dem Verein BSG Chemie Leipzig und FC Energie Cottbus, bei dem die Staatsanwaltschaft die Beschlagnahmung eines Transparentes im Block anordnete. Wie Tagesschau berichtete, sei die Fahne laut Polizeisprecherin aus „gefahrenabwehrrechtlichen Gründen“ einbehalten worden. Beobachter des Spiels sprechen von bewussten Provokationen mit dem Ziel der Eskalation.
Vertrauensverluste
Zur Eskalation kommt es dann auch zur jährlichen Kindertags-Demonstration, die in diesem Jahr von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet wird. Etliche der Teilnehmenden werden mit polizeilichen Maßnahmen belegt, viele müssen zur Identitätsfeststellung und werden kurzzeitig in Gewahrsam genommen. Als Juliane Nagel, Versammlungsleiterin und Abgeordnete des Sächsischen Landtags, zur Beobachtung der Polizeimaßnahme hinzugerufen wird, endet das in einer Ingewahrsamnahme zur Feststellung der Identität einer »bis dahin unbekannten, weiblichen Person.«
Am darauffolgenden Abend, kommt es zu Menschenansammlungen und Auseinandersetzungen zwischen Linken und der Polizei in Connewitz. Ein Beamter der Bereitschaftspolizei Chemnitz trägt in dieser Gemengelage einen Schaden an seinem Helm davon – das Schadensbild eines faustgroßen X, verursacht durch einen Pflasterstein. Das könnte stellvertretend für den Schaden stehen, den das Ansehen der Polizei rund um TagX genommen hat.
Die Allgemeinverfügung für die geplante Demonstration zur Urteilsverkündung am 03. Juni 2023 sorgt in der Zivilgesellschaft für erwartbaren Unmut, schließlich ist die Versammlung schon lange geplant. Am Ende kommt es doch noch zu einer angemeldeten Demonstration zum Thema Versammlungsfreiheit, doch die wird schließlich stationär beauflagt – und dass, obwohl sie laufen soll. Grund dafür sei, dass sich eine Reihe von Vermummten unter den Demoteilnehmenden befinde. Wie sich später herausstellen wird, sind auch mindestens eine Zivilpolizistin und ein Staatsanwalt unter den Vermummten – die genaue Zahl liegt noch im Verborgenen.
Als die Teilnehmenden ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen wollen, kommt es zu Zusammenstößen mit der Polizei, rund Eintausend Menschen werden von der Polizei eingekesselt und müssen sich nun wegen schwerem Landfriedensbruch verantworten. Einer der mittlerweile entlassenen Untersuchungsgefangenen musste viermal ins Krankenhaus eingeliefert werden – davon dreimal intensivmedizinisch versorgt. Nun stellt sich heraus: Im Staatsschutzdezernat der Staatsanwaltschaft, gibt es für den Leipziger Kessel eine Akte – der erste Eintrag datiert auf den 1.6., der Tag der Demonstration zum Kindertag.
»Chronologie des Wahnsinns«
Bei der Krisenkommunikation im Nachgang zu den Geschehnissen scheint das Innenministerium wählerisch: So werden zum Pressetermin im Lagezentrum der Polizeidirektion Leipzig nur ausgewählte Medien eingeladen, auch dem Politmagazin Monitor wird die Teilnahme verwehrt.
All dies geschieht in einem engen Konglomerat aus Soko LinX, dem Landesamt für Verfassungsschutz und der Staatsanwaltschaft Leipzig. »Personalangelegenheiten werden wir wie gewohnt nicht kommentieren« lautet es auf eine Anfrage von La-Presse.org zur Personalie des Staatsschutz-Chefs Dirk Münster, aus dem Innenministerium. Dass die Bedeutung des Wirkens der Oberstaatsanwaltschaft Leipzig sowie die Vorfälle in der JVA überhaupt im »Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung« erkannt wird, darf bezweifelt werden.
Dass die strategische Öffentlichkeitsarbeit untereinander abgestimmt wird, zeigt der Zeitpunkt der Veröffentlichung einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft anlässlich der Arbeit eines Journalisten. Der geriet dort ins Fadenkreuz, weil er einen vermummten Staatsanwalt thematisierte. Der Veröffentlichungszeitpunkt war, Donnerstag 17:00 Uhr exakt der gleiche Zeitpunkt wie die von der Polizei gesetzte Sperrfrist, mit dem »Eingeständnis, dass Fehler gemacht wurden« – der Pressetermin, zu dem kritische Medien nicht erwünscht waren.
Auf einem bundesweiten Treffen des republikanischen Anwältinnen und Anwälteverein (RAV) bezeichnete eine Leipziger Rechtsanwältin die Vorkommnisse als »eine Chronologie des Wahnsinns«. Der Leipziger Strafrechtler Christian Friedrich hingegen meint »Angela Merkels Motivation, dem amtierenden Innenminister von Sachsen keine Position mit Verantwortung zu übertragen, wirkt rückblickend vorausschauend – Danke Merkel.« Ob beruflich, im Ehrenamt oder privat, war Friedrich schon wiederholt mit Maßnahmen des Staatsanwaltschaft Leipzig konfrontiert – auch mit einer Hausdurchsuchung. Auf die Frage, wie die Zivilgesellschaft mit dem Innenminister ins Gericht gehen soll, antwortet er lachend »Sachsen ist auch nur ein Dorf. Wir schaffen das«.
„Die größte Bedrohung für die Demokratie geht in Sachsen nach wie vor vom Rechtsextremismus aus“ ist heute in der LVZ zu lesen. In einem Bericht zum aktuell erschienenen Verfassungschutzbericht für Sachsen. Darin kommen auch Armin Schuster und der sächsische Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian zu Wort. Wohl das erste Mal, ohne gleichzeitig das Wort Linksextremismus in den Mund zu nehmen. Gleichwohl könnte die Zahl der angeblich begangenen, schweren Landfriedensbrüche, im Leipziger Kessel eine politische Instrumentalisierung zur Folge haben – im Kampf gegen die Demokratie. /MS
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