Der freie Journalist Edgar Lopez betont die Rolle des Journalismus als Kontrollinstanz in einer Demokratie. Er ordnet eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Leipzig ein, durch die er selbst ins Fadenkreuz der Kritik geriet. Lopez erwog rechtliche Schritte dagegen vorzunehmen. Wir sprachen mit ihm über die Hintergründe seiner Entscheidung.
Was ist passiert?
Ich muss noch einmal zurückgehen in die Zeit vom 15. Juni. In der Woche der Sondersitzung des Innenausschusses in Sachsen hat die Zeit einen Artikel veröffentlicht, in dem sie darüber berichtet, dass vermummte Zivilkräfte am Rande von Tag X agiert haben sollen.
Am 3. Juni wurde auf Twitter ein Bild von zwei vermummten Personen verbreitet, die offenbar eine sehr vertraute Beziehung zu uniformierten Beamten hatten. Eine der Personen hielt ein Clipboard und das führte zu vielen Spekulationen. Die Zeit veröffentlichte dann Erkenntnisse aus dieser Sondersitzung des Innenausschusses.
Wir hatten das auch mitbekommen.
Dann begannen natürlich alle möglichen Medien zu fragen, um welche Beamten es sich handelt und welche Aufgabe sie hatten. Sind es Tatortbeobachter, Strafverfolger oder etwas Ähnliches? Wir hatten einige Theorien dazu. Ich habe mich deshalb an die Polizei Leipzig gewandt, um diese Fragestellungen zu klären.
Ich erhielt relativ zeitnah eine Antwort von der Polizei, dass es sich bei den Personen auf dem Bild um eine Kriminalbeamtin und einen Staatsanwalt handelt. Das fand ich zunächst interessant und habe es an die Redaktion weitergeleitet. Dort ging es irgendwie unter.
Bedeutet das, dass es ohne deinen Tweet keine Berichterstattung darüber gegeben hätte?
An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass die LVZ den Sachverhalt nachträglich in einen bereits veröffentlichten Beitrag eingefügt hat – also vor meinem Tweet. Dieser wurde jedoch nicht erneut beworben und geriet in der Timeline und damit in der Aufmerksamkeit unter – was mich ein wenig überraschte.
Da der Sachverhalt in den Redaktionen unterging, hast du nochmals auf Twitter nachgelegt?
Ja. Vor dem Hintergrund, dass es sich nicht nur um irgendeinen Staatsanwalt handelt. Seine Tätigkeit hat eine Beschwerde beim Sächsischen Verfassungsgericht ausgelöst. Das hängt damit zusammen, dass er bei einer Hausdurchsuchung im Januar angeblich sechs Stunden lang vermummt an der Maßnahme teilgenommen haben soll. Ob dies rechtmäßig ist oder ob er möglicherweise gegen §34 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) verstoßen hat, wie ich mittlerweile von einigen Juristinnen gehört habe, obliegt nicht meiner Einschätzung. Das hat das Gericht zu entscheiden.
Das ist vielleicht der Anlass meines Tweets, aber nicht die Ursache. Seit über einem Jahr stoße ich bei meinen Recherchen immer wieder auf Ungewöhnlichkeiten im Zusammenhang mit diesem Staatsanwalt.
Es ist mir fremd, von vornherein zu sagen, dass er etwas falsch macht. Im Gegenteil, ich plädiere aber dafür, diese Angelegenheiten zu benennen und transparent für die Öffentlichkeit aufzuarbeiten, auch entlastende Aspekte. Darin sehe ich meine Aufgabe.
Es ist keineswegs die Norm, dass ein Staatsanwalt vermummt seiner Arbeit nachgeht. Daher sorgt dies natürlich für Verwunderung, hochgezogene Augenbrauen und weitere Berichterstattung. Die Staatsanwaltschaft hingegen verteidigt sich mit der Begründung, dass dieser Mann Bedrohungssituationen ausgesetzt war. Das Justizministerium konnte beispielsweise der LVZ auf Anfrage jedoch keine konkreten Bedrohungen nennen. Dies steht erst einmal im Raum. Meinen eigenen Recherchen zufolge, konnten diese Bedrohungen auch im Fall der Verfassungsbeschwerde von der Staatsanwaltschaft Leipzig bisher nicht konkret benannt werden.
Im Rahmen der zweiten Sondersitzung, bei der Tag X Thema war, gab es Pressearbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft. Bei der Polizei wurden Fehler eingeräumt, während die Staatsanwaltschaft eine Bedrohungslage skizzierte und einen „Medienvertreter“ erwähnte, was dich betraf. Was meinst du dazu?
Die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft finde ich vor dem Hintergrund interessant, dass sie zu einem Zeitpunkt veröffentlicht wurde, als der Innenausschuss mutmaßlich bereits beendet war. Vor der Sitzung des Innenausschusses gab es ein Pressegespräch für diverse Medienvertreter aus Leipzig, bei dem ähnliche Erkenntnisse vorgestellt wurden. Die Sperrfrist für Informationen der Polizei, die identisch mit dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Pressemitteilung von der Staatsanwaltschaft war, fiel auf Donnerstag um 17:00 Uhr. Das zeitgleiche Einräumen von Fehlern auf der einen, der Angriff auf der anderen Seite – auch dies steht erstmal im Raum.
Es hat mich erneut überrascht, dass dort ausdrücklich auf einen Pressevertreter eingegangen wurde, der durch die Nennung des Namens dieses Staatsanwalts angeblich die ganze Diskussion um seine Person und diese mutmaßliche Bedrohungslage ausgelöst haben soll. Ich habe telefonisch direkt Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft gehalten und gefragt, ob ich nun dafür verantwortlich gemacht werde, wenn der Staatsanwalt bedroht wird. Das wurde ausdrücklich verneint, aber aufgrund meines Tweets wurden weitere Details zu dem Mann veröffentlicht.
Soweit ich das beurteilen kann, handelt es sich um Informationen, die man leicht über Google-Recherchen finden kann. Wenn man es zu Ende denkt, wenn es wirklich Leute geben sollte die ihn ernsthaft bedrohen wollen, dann war sein Name schon lange vorher bekannt und es wäre längst zu solchen Vorfällen gekommen. Es liegt absolut nicht in meinem Interesse, dass dieser Mann in irgendeiner Weise bedroht wird. Wenn ab jetzt aber von offizieller Seite mit der Bedrohung des Mannes seit „Tag X“ argumentiert wird, und so im Nachhinein seine Vermummung am Rande des Kessels gerechtfertigt werden soll, hört sich das irgendwie wie eine „self fulfilling prophecy“ an.
Du hattest nach der Veröffentlichung der Pressemitteilung getwittert, dass du rechtliche Schritte prüfen möchtest. Wie ist der aktuelle Stand?
Nach der Veröffentlichung der Pressemitteilung habe ich ja bei der Staatsanwaltschaft angefragt, ob mein Handeln zu der Bedrohungslage dieses Mannes beigetragen hat. Mir wurde gesagt, dass dem nicht so sei. Es gab jedoch Kolleginnen und Kollegen, die sich bei mir gemeldet haben und fragten, ob ich private Details dieses Mannes veröffentlicht habe. Ich habe klar gesagt, dass dies nicht der Fall ist. Ich habe den abgekürzten Namen des Mannes verwendet, wie es im Journalismus üblich ist.
Zwischenfrage: Bedeutet das, dass Kolleginnen und Kollegen die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft falsch verstanden haben?
Offensichtlich – abgesehen von denen, die mich kennen. Bei den anderen geriet ich zunächst in die Position, mich erklären zu müssen. Das hat mich natürlich darin bestärkt, dass ich dies rechtlich überprüfen lassen möchte.
Wir haben uns dazu entschieden, den Rechtsweg nicht einzuschlagen. Nicht aus juristischen Gründen, sondern aus journalistischen Gründen. Einerseits würde es sich nicht gut anfühlen, rechtliche Schritte gegen eine Staatsanwaltschaft einzuleiten und gleichzeitig weiter über ein Mitglied dieser Behörde zu berichten. Andererseits ist es meine Aufgabe zu recherchieren, ähnlich wie Staatsanwaltschaften ermitteln. Darauf möchte ich mich konzentrieren.
Das klingt nach einem klaren Rollenverständnis mit Vorbildfunktion.
Immer mit dem Hammer drauf zu hauen bringt nichts. Sowohl die Inanspruchnahme des Rechts, als auch die der Öffentlichkeit, sollte immer wohl bedacht sein.
Meine Rolle als Journalist besteht darin, Fragen zu stellen, zu recherchieren und Aussagen zu überprüfen. Damit haben wir, oder besser gesagt die Presse, eine Art Kontrollfunktion, die in einer Demokratie wichtig ist.
Nicht immer läuft alles reibungslos – bei mir und in der Medienlandschaft. Aber wir haben in den letzten Jahren in Sachsen durchaus Fortschritte in der Medienlandschaft gemacht. Die Erkenntnis, dass es wichtig ist, bei Behörden kritisch nachzufragen, setzt sich zunehmend in den Redaktionen durch.
Das mag einigen Leuten immer noch nicht gefallen, aber das ist nun mal unsere Aufgabe. Die Pressefreiheit steht nicht grundlos ziemlich weit oben im Grundgesetz – als Abwehrrecht gegen einen übergriffigen Staat.
Siehst du in Sachsen einen übergriffigen Staat?
Dazu lohnt ein vergleichender Blick. Im Jahr 2007 kamen die Vorwürfe der sogenannten Sachsensumpf-Affäire an die Öffentlichkeit. Journalisten die im Umfeld um Aufklärung bemüht waren oder von Dienstwegen ermittelten, wurden gezielt demontiert oder mit Strafverfolgung überzogen. So weit sind wir heute, nach meinem Kenntnisstand, noch nicht. Aus dem Leipziger Kessel wurde ein Tim H. in Untersuchungshaft gesteckt – nach Angaben seiner Anwältin unbegründet und unter einer Beweislastumkehr. Einem anderen Tim H. wurde vorgeworfen am 19. Februar 2011, im Zuge der Gegenproteste zu einem Naziaufmarsch, per Megafon mit „Kommt nach vorne“ eine gewalttätige Menge angeführt zu haben. Daraufhin setzte eine ungeahnte Repressionswelle ein, welche unter dem Stichwort „Dresdner Handygate“ in die Geschichte einfloss. Der repressive Denkansatz gegen zivilgesellschaftliches Engagement besteht weiterhin fort. Das hat das Durchprügeln der Novelle des Sächsischen Polizeigesetzes, trotz vielfältiger gesellschaftlicher Proteste, ebenso gezeigt, wie die Hausdurchsuchung bei Pudding. Also mal vom Großen auf das Kleine betrachtet. / MS
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