Grenzenloser Rassismus

Weiße, ukrainische Frauen und Kinder werden auf der Flucht aus der Ukraine priorisiert. Auch zur Ankunft in Sachsen werden Schwarze Opfer von Racial Profiling – und strukturell bei der Unterbringung benachteiligt.

Aufnahmeeinrichtung Leipzig Mockau. Wir sprechen gezielt schwarze Menschen auf Ihre Fluchterfahrungen an. Alexander studierte in Kiew Journalismus. Als die ersten Bomben in der Ukraine fielen, machte er sich auf die Flucht. Im Dresdner Hauptbahnhof war seine Reise beendet. Die Bundespolizei durchsuchte ihn, nahm Fingerabdrücke, behielt seinen Pass ein. Dafür bekam er die Adresse des Aufnahmelagers Leipzig/Mockau. »Ich wollte eigentlich nach Berlin« meint er resigniert.

Reisen in Deutschland: Pass weg. Pressesprecher weg.

Ein ähnliches Schicksal traf John. Er spielte bis vor wenigen Wochen Fußball bei einem Amateurverein in Kiew. »Als es anfing machte ich mich, gemeinsam mit drei weiteren Freunden auf den Weg«. schildert er, während seine Freunde um ihn herumstehen. Schon in der ukrainischen Stadt Liwiw wurde ihnen vom Zugpersonal mit den Worten »Nur Frauen und Kinder« der Zugang zum Zug nach Ungarn verwehrt. »Der Zug war halb leer und es stiegen auch weiße Männer mit ein« klagt einer seiner Begleiter. Am Hauptbahnhof in Dresden gerieten die vier in eine Kontrolle der Bundespolizei. Nachdem Fingerabdrücke ab- und Personalien aufgenommen wurden, bekamen drei von ihnen Ihren Pass zurück. John wurde, laut eigener Aussage, von einem Beamten vor die Wahl gestellt. »Entweder du bekommst deinen Pass oder später einen Deutschen«.

Am Donnerstag versendeten wir Fragen zu »Racial Profiling« an die Pressestelle der Bundespolizei. Die Pressestelle ist mit Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für drei Bundesländer zuständig. Auf telefonische Nachfrage am Freitag hieß es, dass die Pressestelle »über das Wochenende nicht besetzt« sei.

Von rassistisch motivierten Selektionen an Verkehrsknotenpunkten berichtete auch Human Rights Watch. Die Menschenrechtsorganisation führte dutzende Interviews mit Ausländern, von denen viele internationale Studenten sind. Dabei ergab sich folgendes Muster. Weiße, ukrainische Frauen und Kinder werden priorisiert. 

Endstation Leipzig. Mockau.

Wir treffen vor der Unterkunft in Leipzig Mockau Kizito Williams. Er ist der Einzige, der mit echtem Namen genannt werden möchte. Alle anderen haben Angst und fürchten Nachteile. Kizito wollte ebenfalls den Zug von Liwiw nach Polen besteigen. Als ihm als der Zutritt zum Zug verwehrt wurde, wich er nach »Uschhorod« aus. Von der dortigen Sammelstelle werden Transferbusse an die Grenze nach »Vyšné Nemecké« organisiert. Nach drei Tagen brach er dort zusammen. Als er wieder aufwachte fragte er, den Sanitäter ob er sich noch in der Ukraine oder schon der Slowakei befindet. Er beschloss, eigenständig zum Grenzübergang zu laufen. Von dort schlug er sich zum Bahnhof »Košice«, wo er weitere zwei Tage übernachtet. Wir sagen ihm, dass wir erst vor wenigen Tagen selbst da gewesen sind. Als wir ihm die Bilder in unserem Beitrag zeigen, kommen ihm Tränen.

Über Prag und Dresden gelang Kizito die Flucht nach Leipzig – Mockau. Inzwischen befindet er sich seit über 10 Tagen im Camp. Wir trafen ihn dort schon zu einem Pressetermin. Dort war die Rede von kurzen Aufenthaltsdauern. Auf Nachfrage bestätigt ein Camp Mitarbeiter, dass »Frauen und Kinder bei der Umverteilung zu bevorzugen seien.«. Die Anweisungen erfolgten mündlich von der Landesdirektion. Auf Nachfrage zu einer Ungleichbehandlung Antwortet die Landesdirektion: „Vertriebene aus der Ukraine, sowohl ukrainische Staatsangehörige als auch Drittstaatsangehörige, denen in Deutschland zum vorübergehenden Schutz Aufenthalt gewährt wird, werden bei der Weiterverteilung an die Landkreise und kreisfreien Städte nicht unterschiedlich behandelt.“. Als wir den Mitarbeiter mit der Aussage konfrontieren meint er »Fakt ist, dass Drittstaatsangehörige länger hier sind«.

Kizito stört es nicht, dass Weiße schneller aus dem Camp in Hotels oder Wohnungen untergebracht werden. Der Kiewer Informatik Student aus Nigeria hilft erstmal in der Camp-Küche. »Meine Zeit in der Ukraine ist leider vorbei. Ich muss in die Zukunft blicken und will nun hier mein Studium weiterführen« Auf die Frage wie er das Leben im Camp empfindet meint er: »Es wäre schön etwas mehr Ruhe zu haben, denn ich bin selbst ein ruhigerer Typ«. / MS MM