Die Kultkneipe Vergebung in Leipzig-Connewitz schließt vorerst. Wir sprachen mit dem Wirt Andreas Strobel über die Hintergründe und wie es weitergeht.
Der LVZ war zu entnehmen, dass die Vergebung schließt.
Das ist ein bisschen schwierig mit dem Journalisten. Ich sagte, wir müssen erstmal schließen. Dass das endgültig ist, so wie es sich liest, habe ich so nicht gesagt. Wir haben bis zum Schluß versucht mit der Eigentümerin in Kontakt zu treten, was nicht gelungen ist.
Meint, es kann in diesen Räumlichkeiten weiter gehen?
Nein, dazu sind die Fronten wohl zu verhärtet. Die Versicherung hat der Eigentümerin den Brandschaden erstattet gleichwohl gab es eine Kündigung. Nach der Kündigung und den vergeblichen Kontaktversuchen haben wir uns dazu entschlossen auszuziehen. Als Antwort kam eine Räumungsklage – damit muß sich nun das Gericht beschäftigen, obwohl wir bis Ende des Monats nicht mehr in den Räumen sind.
Der Kündigungsgrund war das Feuer?
In der Brandnacht wollten alle, dass ich was sage. Gegenüber eines Drehteams des MDR trat ein junger Mann vor, der so tat als würden wir uns schon jahrelang kennen. Er hatte zwei, drei Mal ausgeholfen und stand an diesem Abend vor der Tür wie Phönix aus der Asche. Daher rührt in der Öffentlichkeit, dass ich in der Vergebung wohne. Es ist natürlich so, dass der Anbau nicht meine Wohnung war. Ich bin hier auch nicht gemeldet, sondern in meinem Zimmer in Südvorstadt.
In dem Anbau war ein Lager, ein Büro, eine Werkstadt und eine Bibliothek untergebracht. Ich habe dort weder gewohnt, noch Heizstrahler „eingebaut“ wie die Vermieterin gegenüber der LVZ behauptete. Als Gäste die Bibliothek nutzten, hatte ich ihnen den mobilen Heizstrahler angemacht. Als sie die Bibliothek verließen, wollte ich wieder nach hinten um ihn auszumachen – da brannte es aber schon.
Zeuginnen im Hof beobachteten zwischenzeitlich eine Stichflamme aus dem Heizstrahler, was auf klar einen Defekt hindeutet. Die Herstellerin des Heizstrahlers hat weder in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen, noch in der Bedienungsanleitung die Verwendung in Innenräumen ausgeschlossen ist.
Nach über 10 Monaten kommt die Kündigung der Eigentümerin mit der Begründung, ich sei ein Feuerteufel – sinngemäß.
Gab es zum Brand eine juristische Aufarbeitung?
Fahrlässige Brandstiftung aufgrund der kriminialtechnischen Untersuchung. Dazu gab es einen Strafbefehl in Höhe von 700 Euro – ich wollte deswegen nun nicht nochmal vor Gericht ziehen. Letztendlich wird das aber nun in der Kündigung und Räumungsklage verwendet.
Wie kommst Du zur Gastronomie?
Das ist um die Jahrtausendwende entstanden. In meinem eigentlichen Beruf, Straßensozialarbeiter, habe ich keine Arbeit mehr gefunden. Über Sheila Reimann, dem LOFFT Theater, das seinerzeit noch am Lindenauer Markt, im Haus der Volkskunst, habe ich im Foyer das Café Abwärts betrieben.
Die Schaubühne Lindenfels hatte zum Expo-2000-Jahr die Installation „Jahrtausendfeld“ konzipiert. Dort sollte unter Anderem in einem Zirkuszelt, einen Viermaster, ein Kinder- und Jugendtheater entstehen. Die Idee war gut. Ich glaube, die Stadt war seinerzeit dazu aber noch nicht bereit. Jedenfalls gab es seinerzeit auf der Karl-Heine-Straße noch keine Kneipe. So kam es, dass ich das „Mr. Miller Zelt Café“ eröffnete. Ein Stückchen weiter in einem Dreimaster-Zelt entstand der „Unkenpalast“. Dort konnten Goa, Reggae oder klassisch Diskos veranstaltet werden.
Das Theater der Junge Welt hat dann das Haus der Volkskunst übernommen. Meine Zeit dort und auf dem Jahrtausendfeld war erstmal vorbei. Über eine Schauspielerin, die nun Kulturwirtschaft machen wollte, kam mein Einstieg in den Connewitzer Waldfrieden. Als der Betrieb lief, haben sich unsere Wege getrennt. Eine unschöne Zeit mit unschönen Worten – aus diesem Grund wählte ich auch den Namen Barabbas für mein neues Gastroprojekt.
So wie wir jetzt hier sitzen, habe ich neue Räumlichkeiten gesucht und bin auf dieses Objekt gestoßen – was tatsächlich Zufall war. Der sogenannte Volksmund hat aus Barabbas dann die Vergebung gemacht. Jetzt müssen wir schauen wie es weitergeht. Wir versuchen einen Ort in Connewitz zu finden, wo es weitergeht. Dazu suchen wir einen neuen Vermieter. „Fragen kostet nichts“ sagt Mutti immer so schön.
Du warst nach langer Zeit mal wieder bei deiner Mutter.
Wir haben ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Sie ist nun 96 Jahre alt, die Einzige, die von ihren 6 Geschwistern noch übrig ist. Sie hat keine Kraft mehr und gebeten, dass ich sie besuche. Das war sozusagen ein Marschbefehl, dem ich mich nicht entziehen konnte. Ich war zwei Tage bei ihr – nun will sie gehen.
Seit es die Vergebung gibt, hast du nie frei gemacht
Stimmt. Das ist in der jetzigen Zeit schwer für die Leute zu verstehen, dass es Menschen gibt, die diesen Freizeitmodus nicht brauchen. Das mir dabei nichts fehlt. Zudem haben immer wieder Menschen geholfen. Es ist aber nicht so, dass da jemand mit eingestiegen ist, der mich vertritt, wenn ich mal weg bin. Dass sich jemand voll und ganz eingibt, ist nicht mehr der Zeitgeist. Dafür kann ich bei Diskussionen wie der um die 25 Stunden Woche nicht mitreden.
Ich bin mit Arbeit groß geworden. Erst war es die Zirkus- und Jahrmarktzeit, dann die Arbeit mit den Jugendlichen. Wenn andere Leute feiern, dann arbeitest du halt. Wenn die Jugendlichen, grade in den sozial schwachen Familien, am Wochenende nicht in der Schule sind, haben die Jugendclubs geschlossen. Es war für mich immer klar, dass Weihnachten eines der schrecklichsten Feste für Jugendliche ist – für mich war es klar, dass ich grade dort und zu den Wochenenden für sie da bin. Heute ist das alles anders.
Die akzeptierende Sozialarbeit wird dir auch heute noch vereinzelt angekreidet
Jetzt wird es kompliziert und ich muß ausholen. Die Wiedervereinigung ist, meiner Ansicht nach, völlig gegen den Baum gefahren. Ich kann nur von Grünau sprechen. Der Stadtteil war zur Wende fertig gestellt. Was noch fehlte, das waren die sportlichen Anlagen. Vom Schwimmbad bis zu Fußballfeldern war das zur Wende jedoch in Planung. Vom WK1 bis WK8 (Anm.d.R. WK steht für Wohnkomplexe) gab es in jedem WK einen Hort, Kindergarten, Jugendzentrum, Grundschule und Mittelschule. In jedem zweiten WK gab es noch dazu ein Gymnasium und Kulturhaus.
Jedes WK hatte eine bunt gewürfelte Mischung von Menschen verschiedener Schichten. Mauer, Architekten, Putzfrauen oder Ärztinnen – alles zog nach Grünau aufgrund der Wohnqualität. Die Kinder wurden von den Eltern garnicht bemerkt, da der Sozialismus sie zu allem möglichen herangezogen hatte.
Zur Wiedervereinigung haben Besserverdienende Grünau verlassen und die anderen sind geblieben. Mit der Wende merkten die Eltern auf einmal, dass da Kinder sind. Deren Bedürfnisse hatten nichts mit der Lebensrealität zu tun. „Ich will meine Levis und meine Nike“ – wurden durch die Gruppenaktivitäten im Sozialismus ersetzt.
Es wurden wöchentlich gefühlt 60-70 Luxuslimousinen geklaut und nach Görlitz gefahren. Kriminelle Strukturen, Repuplikaner und dann die NPD haben immer wieder erfolgreich versucht sich Jugendliche unter den Nagel zu reißen. Wenn einer aus einer der Gruppen nach rechts tendiert, besteht die Gefahr, dass die ganze Gruppe nach rechts abwandert.
Du siehst eine Kontinuität?
Das wurde damals nicht bedacht und das zieht sich bis heute hin. Heute haben wir die AfD im Landtag und es wird noch immer nichts getan. Herr Kretschmer wird zur nächsten Landtagswahl der AfD unterliegen. Das ist ein Problem den nicht-auffangens von Jugendlichen – also Menschen die damals Jugendliche waren.
Die Großen hatte ich seinerzeit nicht erreicht. Die kleinen haben alle ihre Schule abgeschlossen, eine Ausbildung gemacht und klassisch eine Familie gegründet. Die, mit denen ich heute noch Kontakt habe, haben alle die Kurve gekriegt. Es gab 6 Jugendliche, die sich zum Nationalsozialismus bekannten, deshalb vom Gymnasium geflogen sind. Die saßen dann mit Sternburg bei mir und fragten sich, was sie nun machen sollen. Bürgermeister Tiefensee war seinerzeit Bürgermeister für Sport und Jugend gewesen und predigte immer „Keine akzeptierende Jugendarbeit mit rechts“ – einen Lösungsansatz hatte er aber auch nicht. Nicht Mal den rechten Aufmärschen wurde irgendwie begegnet.
Wie umgehen mit rechtem Gedankengut? – Heute haben wir verhärtete Fronten und weiterhin keinen Plan. Das hätten wir damals, grade in Sachsen, auffangen müssen. Der Fokus lag damals auf neue Gewerbegebiete, heute liegt er woanders.
Wie geht es weiter?
Wir haben eine Halle in Grimma wo wir die Vergebung einlagern. Trotz der nicht zu erwirtschaftenden Mieten, die in Connewitz aufgerufen werden, suchen wir weiter. Offen ist alles. Eine Freifläche, einen Schuppen oder ein Objekt. Ich kann auch wieder eine Kneipe in einem Zirkuszelt machen. Infos zur Vergebung und wie es weiter geht gibt es auf www.sandkoenigin.de. Wer Ideen für einen Ort hat, kann sich gerne bei mir melden. /MS
Andreas Strobel – Tel: 0160-92016179 – [email protected]