Dem Betreiber eines Hähnchen-Grill wird in Chatgruppen vorgeworfen er sei ein türkischer Nationalist. Einer Pizzeria, die von Migrant*innen betrieben wird, wurden die Scheiben eingeworfen weil sie die Polizei rief. In der „Pause“, dem Ladengeschäft, wo über Jahre der Späti „Lazy Dog“ ansässig war, gab es Glasbruch – der neue Laden wird gemieden, Betreiber und Gäste werden schief angesehen. Nicht zuletzt haben wir vielleicht mit einem Artikel zum Mietrecht für Gewerbetreibende dazu einen Beitrag geleistet. Auch deshalb wagen wir einen zweiten Blick auf den Konflikt in Connewitz und der Perspektivwechsel verleitet uns zu einer selbstkritischen Reflektion.
Es wirkt geschäftig in der „Friseur Akademie“ auf der Karl-Liebknecht-Straße. Durch den Salon begeben wir uns auf den Freisitz in den Hinterhof. Der Sonnenschirm weist Brandlöcher auf. „Es gab Mieter, die haben ihre Zigaretten bewusst hinuntergeworfen, als wir unser Geschäft eröffneten. Inzwischen sind sie ausgezogen. Mit den anderen im Haus kommen wir gut klar. Mit einigen sind wir sogar befreundet“ meint Aysel beiläufig. Ihr Handy vibriert im Minutentakt, dennoch sind Ihre wachen und herzlichen Augen die meiste Zeit auf uns gerichtet. Lediglich wenn ihr Mann, Ugur, etwas nicht verstanden hat, oder die deutschen Worte nicht findet, wenden sie sich ihm zu.
Seit wann seid ihr im Geschäft?
Aysel: Ich bin 1993 nach Deutschland zu meinem Bruder gekommen. In 2011 eröffnete ich einen kleinen Friseursalon neben der Sparkasse in Connewitz. Nachdem mein Mann 2014 nach Deutschland kam, mieteten wir den größeren Salon auf der „Karli“. Wir sind hier Mieter, uns gehört der Laden nicht. Für unsere Seminare mussten wir bis dahin immer Hotels buchen. Das war kein Zustand.
Der Salon wirkt sehr hochwertig – und divers
Aysel: Wir tun was wir können. Das es nicht leicht ist Fuß zu fassen, habe ich am eigenen Leib erlebt. Momentan haben wir zehn Auszubildende mit Migrationsbiografie, teilweise werden sie über eine Ausbildungsduldung vor der Abschiebung bewahrt. Während des Lockdown mußte das aus der eigenen Tasche bezahlt werden. Dazu noch die Kredite, dem vom Laden und unserem neuen Projekt.
Damit wären wir beim Punkt. Das Bild der bösen Kapitalisten, die einen Spätverkauf verdrängen.
Ugur: Ich sehe mich als Künstler. Von Spätverkäufen oder Immobiliengeschäften habe ich keine Ahnung. Wir arbeiten hart um zu überleben, die Kredite zu bedienen. Die Miete unseres Salons steigt von Jahr zu Jahr – der Vertrag läuft noch ein paar Jahre und um in Zukunft die Miete zu ersparen haben wir die Immobilie in Connewitz gekauft. Wir wollten für unsere Familie eine sichere Zukunft schaffen. Wir stehen 6 Tage die Woche von früh bis spät im Laden, machen nur wenig Urlaub. Das alles machen wir gern, wir lieben unseren Beruf und haben zu den meisten Kunden ein sehr persönliches und inniges Verhältnis. Es hat mich wirklich sehr erschrocken, wie ich mich plötzlich dafür rechtfertigen muss, als böse Kapitalistin abgestempelt werde. Das macht mich wirklich traurig.
Aysel: Als ich die Geschichte vom „Lazy Dog“ las, wie oft sie umziehen mussten, hat mir das Leid getan. Das wußte ich nicht. Hinsichtlich der schwachen Position von Gewerbemieter*innen sitzen wir sogar im selben Boot. Die ständige Unsicherheit. Als uns eine Maklerin das Objekt in Connewitz zum Kauf anbot und eine Kalkulation vorlegte, haben wir uns für den Kauf entschieden.
Ursprünglich wollten wir die Mietverträge auslaufen lassen und die Räume selber nutzen. Salon und Wohnraum. Für unseren Mietvertrag des Salons auf der Karli befanden wir uns schon im Gespräch mit einem Nachmieter. Dann kam der Lockdown. Als der Schwager und Cousin meines Mannes arbeitslos wurden, Bewerbungen wegen ihrer Deutschkenntnisse im Sande verliefen, boten wir ihnen die Fläche für einen Imbiss an.
Das alte Lazy Dog war aber zwischenzeitlich für 2.500€ zur Vermietung ausgeschrieben.
Aysel: Und das unsaniert. Die Maklerin meinte, dass der Preis marktüblich sei. Ich habe gar nicht weiter darüber nachgedacht. Der Druck im Lockdown, die Unsicherheit: Wie geht es weiter für mich und unsere Angestellten. Wie soll ich die Kredite zahlen und die hohe Miete für meinen Laden in der Karli. Das hat mich sehr belastet, ich habe nächtelang nur schlecht geschlafen und hin und hergrechnet. Dazu die Sorge um meinen Schwager und Cousin, wovon einer ebenfalls abschiebebedroht ist – und zwingend eine Perspektive braucht. Das Angebot wurde schnell wieder aus dem Netz genommen. Ich war von vornherein dagegen. Selbstkritisch kann ich sagen: Ich habe viel gelernt.
Copy Cat?
OK, ihr wirkt augenscheinlich nicht wie die bösen Immobilienspekulaten, dennoch war es irritierend, dass eine Kopie des Lazy Dog in deren alten Räumen entstand. Inzwischen sieht es eher nach einem Dönerladen aus.
Aysel: Wenn uns wegen Eigenbedarf gekündigt werden würde und unser Geschäftskonzept hier Einzug hält, wäre ich ebenso irritiert. Seit 1.5.2021 hat die „Pause“ eine Erlaubnis Speisen zu verkaufen. Die Hygiene war erst diesen Montag wieder da, um letzte Bau-Maßnahmen abzustimmen. Für die Lüftungsanlage fehlt noch die Zustimmung des Hauses. Die „Pause“ muss sich schlicht den Gegebenheiten anpassen. Auf harten Wettbewerb ist das konzeptionell nicht angelegt, das passt auch nicht zu unseren Werten. Dass, wie im alten „Lazy Dog“, Hot-Dogs verkauft werden, wollte ich nicht – auch wenn es die Rindfleischvariante war.
Ugur: Wir sprechen hier von unseren zukünftigen Nachbarn, ihren und unseren Kindern. Wenn ich im Laden zu Besuch bin, werde ich angesehen wie ein Monster. Beim Anschlag auf den Laden waren Mitarbeiter dort. Sie hatten Angst, haben in dem Moment nur an ihre Kinder gedacht. Und die Angst ist bis heute geblieben.
Ist Connewitz rassistisch?
Aysel: Ich dachte immer Connewitz sei Multi-Kulti. Schaut mich an, ich bin eine moderne Frau und habe oft genug Konflikte mit patriarchalen Strukturen – auch innerhalb der Familie. Rassismus kannte ich bislang vor allem aus Erzählungen – wenn Frauen ein Kopftuch tragen. Nach dem Thema „Pause“ habe ich Angst mit meinen Kindern (3, 18) in Connewitz zu wohnen.
Beim Stichwort Familie drängt sich uns eine persönliche Frage auf.
Nach diesen Worten ist es uns etwas peinlich nach den zahlreichen Unternehmen zu fragen, die sich in eurem Netzwerk befinden sollen. Darunter soll sich ein ehemaliger Bäcker in Connewitz, ein Cafe an der HTWK, ein Waffel-Laden auf der Karli, zwei Dönerladen auf der Prager Straße, ein Dönerladen sowie ein Feinkostladen in einem Einkaufsmarkt befinden – dazu auch eine Firma die sich mit Ladenausbau beschäftigt. – Wir zeigen den beiden das Foto eines Transporters einer Ladenausbau-Firma.
Aysel: (lacht herzhaft) Natürlich habe ich höchstpersönlich den Auftrag von Erdogan erhalten für Ihn ganz Leipzig aufzukaufen. Als brave Frau habe ich zu folgen – grade mit kurdischem Hintergrund. Mal im Ernst: Zum weiteren Kreis der Familie gehören zwei Dönerläden auf der Prager Straße, sowie der Döner- und Feinkostladen im Einkaufsmarkt. Jeweils die eigenen Läden unserer Verwandten, zum Teil selbst zu hohen Preisen eingemietet. Wenn das Familie ist, bedeutet das aber doch nicht, dass wir mit den Geschäften zu tun haben. Das sind eigene Familien, die mit Ihren Kindern ebenso hart arbeiten wie wir. Bei der Recherche habt ihr übrigens den Laden vergessen, der uns wirklich noch gehört: Der kleine Salon in der Arthur-Hoffmann-Straße. Irgendwo müssen die Azubis nach der Ausbildung ja auch arbeiten.
Aysel besteht darauf die Passage zu veröffentlichen. Ihre herzlichen Augen drücken Besorgnis aus. „Das zeigt, wie über Gerüchte Feindbilder konstruiert werden. Das ist unglaublich.“
Pause
Wir beenden das Interview im Salon und verabreden uns für ein Foto in der „Pause“. „Ugur kann nicht mitkommen. Einer muss in der Akademie bleiben“ wirft uns Aysel zu, während sie ihr Mobiltelefon greift um aufzubrechen. In der Pause angekommen wollen wir wissen was mit dem „Betreuten Wohnen“ im Objekt sei. Dort laufe der Mietvertrag ja auch aus. „Das stimmt. Bis heute hat sich der Mieter nicht bei uns gemeldet, ob er Interesse hat, dort zu bleiben. Es gibt Gerüchte, wir hätten die Miete erhöht. Das ist eine Lüge.“ – Wir verlassen das Bistro und schwatzen noch ein bisschen vor der Tür, dabei werden wir mit Argusaugen von Passant*innen beobachtet. /MS
Referenz (Kreuzer 8/2021):